Begleitet wird die Frankfurter Buchmesse alljährlich vom Lesefest „Open Books“ und bei diesem bin ich mittlerweile Stammgast. Einer der Autoren, die ich in diesem Jahr live erleben konnte, war Ulf Erdmann Ziegler. Ich gebe zu, dass ich mich schon zuvor auf diese Lesung und dieses Buch am meisten gefreut habe. Von Ulf Erdmann Ziegler hatte ich zuvor schon den Roman „Nichts Weißes“ gelesen und dieser hatte mir mit seiner sprachlichen Feinheit, sowie der gut wirkenden Recherche gefallen. Moderiert wurde der Abend beim Frankfurter Kunstverein von Christoph Schröder.
„Eine andere Epoche“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen und berichtet uns von den politischen Ereignissen rund um den NSU-Terrorismus. Begleitet von all den anderen Skandalen der 2010er Jahre agieren die zwei Protagonisten Bundestagsabgeordneter Ani Nair und dessen Büroleiter Wegman Frost auf politischer Ebene. Frost ist bekennender Sozialdemokrat und setzt sich mit seiner Familiengeschichte auseinander, während er versucht die Liebesbeziehung mit einer Immobilienmaklerin einzuordnen. Hinzu tritt deren Tochter Ellie, für die Frost schnell Vatergefühle entwickelt. Diese privaten Entwicklungen werden durch die politischen Geschehnisse begleitet und finden immer wieder Eingang. Es geht um den Rücktritt von Christian Wulff, die Aufklärung des NSU-Terrors, sowie die Edathy-Affäre.
Politischer Roman mit kritischem Blick
Schon im Gespräch mit Schröder machte Ziegler deutlich, dass sein Roman natürlich als politischer Roman gelesen werden wird. Die Wut des Autors über die Geschehnisse rund um den NSU-Terrorismus wird im Gespräch spürbar und macht mir zugleich eine Stärke des Romans deutlich und zwar, dass man diese Wut dem Roman nicht anmerkt. Sachlich und mit Blick der Figuren werden die politischen Hintergründe in den Roman verwoben. Dabei stellen sich die Romanfiguren Fragen, die man auch aus der eigenen Erfahrungswelt kennt, wenn man an die 2010er Jahre zurückdenkt. Wegmann Frost ist eine spannende Figur, da er politisch für die Sozialdemokratie einsteht, aber darum weiß nicht alle Ideale verteidigen zu können. Letzteres ist ihm durchaus unangenehm und kommt auch auf, wenn er Fragen der jungen Ellie beantworten muss. Der kindlich naive Blick auf das politische Geschehen entlarvt im Roman das Scheitern der NSU-Aufklärung als noch katastrophaler. Ja vielleicht legt der Roman sogar die Fährte, dass dies kein unbewusstes Scheitern gewesen sein kann. Letzteres ist aber meine eigene Interpretation. Die Verbindung zwischen Frost und dem jungen Mädchen resultiert aus der bei Beiden nicht stabilen Herkunftsgeschichte. Die Szenen werden mit tollen Dialogen geschildert, sodass die Figuren bei mir sofort eine Stimme erhalten.
An diesem vierten November 2011 aber sah Andi Nair die Risse im Gebälk, und Wegmann Frost lief es kalt den Rücken runter.
Ziegler, Ulf Erdmann: Eine andere Epoche, S.18, Suhrkamp Verlag 2021.
Das Zitat markiert den entscheidenden politischen Hintergrund. Es geht um das Aufkommen der Rechten, oder vielmehr ihr Erscheinen aus dem Verborgenen. Geschichte, die man nicht wieder erleben möchte, blickt wieder einmal hervor. Gleichzeitig erleben wir mit Christian Wulff einen Bundespräsidenten, welcher den Islam zu Deutschland zugehörig erklärt und dann über einen Medienskandal stolpert. Hier zeigt der Roman wie dieses Thema auf einmal, die doch so wichtige NSU-Aufklärung überlagert. Ulf Erdmann Ziegler weiß um den passenden Ton, trifft mediale Entwicklungen, Reaktionen von Politiker*Innen passgenau und vergisst gleichzeitig nie die offenen Fragen von Außenstehenden.
Entscheidend für das Verständnis des Romans ist jedoch, dass man die politischen Hintergründe auch greifen kann. Andi Nair ist ganz klar am realen Vorbild Sebastian Edathy orientiert. Der FDP Mann Jansen, Jugendfreund von Frost, muss mit Philipp Rösler in Verbindung gebracht werden. Ziegler zeigt die Härte des politischen Geschäftes und präsentiert eine Geschichte, welche die Ereignisse dieser Jahre nicht mehr als rein zufällige Kombination erscheinen lassen. Wegmann Frost als Rädchen im politischen Betrieb beschreibt die Lage vom Rande und ist doch gleichzeitig ein Beteiligter, jedoch nicht in alle Prozesse eingebunden. Ziegler kann dank dieser Konstellation die Geschehnisse aus dem politischen Bereich hinaus führen. Unterstützt von Elli ist es nun nicht mehr keine reine Geschichte aus dem Politbetrieb, sondern das Rädchen im System, Wegmann Frost, muss versuchen Antworten auf nahe liegende Fragen zu finden. Warum darf der Bundespräsident sich von niemandem auf ein Eis einladen lassen, wieso wird Beate Zschäpe nicht in den NSU-Untersuchungsausschuss eingeladen?
Ich würde den Roman nicht als Werk einordnen, welches klare politische Haltungen projizieren will. Stattdessen ist die Mischung aus Realitätsspuren und der tollen Figurenzeichnung die Chance den Politbetrieb auszustellen, ohne ihm eine Wertung aufzudrücken. Wenngleich der Titel des Romans zumindest eines markiert: Es gibt keine Epoche in der sich die Bundesrepublik von ihrer eigenen Geschichte wird lösen können.
Unterhaltsam, klug und pointiert
Der Schreibstil von Ulf Erdmann Ziegler macht ihn für mich zu einem der besten Gegenwartsautoren. Wenn man Romane sucht, welche sich der gesellschaftlichen Lage unseres Landes widmen, ist man bei Ziegler richtig. Er findet die passenden sprachlichen Mittel für die Handlungsorte, die er wählt. Die Figurentiefe sorgt bei diesem Roman dafür, dass die politischen Hintergründe ihn nicht zum Schlüsselroman machen, sondern genau das von mir Beobachtete geschieht: Wir blicken über Wegmann Frost auf die Geschehnisse und können somit unsere eigenen Fragen mit in den Roman tragen. Damit wird die Leserschaft gut mitgenommen. Insgesamt ist das Buch pointiert geschrieben, bietet viele unterhaltsame Momente, ohne Ernsthaftigkeit zu riskieren. Wer einen klugen und unterhaltsamen Roman lesen will ist somit bei diesem Buch an der richtigen Adresse. Von mir gibt es auf jeden Fall eine klare Empfehlung.
Werbung aus Liebe zum Buch
Wertung: 🐧🐧🐧🐧
Ulf Erdmann Ziegler:
Eine andere Epoche
ISBN: 978-3518430156
Preis: 24,00€
Eine andere Epoche. Buch von Ulf Erdmann Ziegler (Suhrkamp Verlag)