Mathieu, Nicolas: Wie später ihre Kinder – Rezension

„Wie später ihre Kinder“ ist der fiktionale Versuch Antworten aus der Vergangenheit auf heutige gesellschaftliche Wut zu geben. Die Figuren ordnen sich mit ihrem Verhalten in eine gut gebaute Netzstruktur ein. Die Protagonisten sind gut getroffen und lassen vor den Augen der Leser*Innen das provinzielle Milieu Frankreichs entstehen.

Artikelserie „Erregungswelle“

Zorn, Wut, teils auch Beleidigungen sind heutzutage zu beobachtende Auswirkungen in gesellschaftlichen Debatten. Getrieben von Ungerechtigkeit oder Zurückweisungen eröffnet sich eine Empörungsspirale, welche die Debatte zu Problemen jedoch eher behindert, statt diese zu fördern. Zudem greifen rechts-gerichtete politische Parteien diese Grundstimmung gerne auf und beginnen Fakten gegen Meinungsmache auszuspielen. Die gefühlte gesellschaftliche „Erregungswelle“ spielt auch in Büchern eine wichtige Rolle. Im Jahr 2018 erhielt Nicolas Mathieu für seinen Roman „Wie später ihre Kinder“ den französischen Literaturpreis Prix Goncourt. Nach dem deutschen Erscheinen wurde der Roman sehr positiv besprochen und als Blick auf die französische Gesellschaft gelobt. Das Festival „literaturm“ hatte den Roman genau deswegen im Programm.

Um was geht es?

Vier Sommer lang von 1992 angefangen, präsentiert der Roman verschiedene junge Menschen auf ihrem Weg ins Erwachsenendasein. Der Blick  nach Provinzfrankreich zeigt, wie sich die Globalisierungen abseits der Metropolen auswirken. Die Jugendlichen müssen sich mit den Schwierigkeiten der Jobsuche beschäftigen und mit Alltagssorgen wie der ersten großen Liebe. Wie in einem Netz verbinden sich die verschiedenen Lebensläufe und einem lebensklugen Roman.

Mein Eindruck der Reihe

Das Thema gesellschaftliche Erregung zeigt sich in unserem Nachbarland in den Diskussion um die Macron-Regierung und die Gelbwestenbewegung. Nicolas Mathieu wird für sein Buch dafür gefeiert, Hintergründe zu diesen Entwicklungen zu liefern. Damit wird auch die Thematik politisch relevanter Literatur aufgerufen.

Anthony und Hacine sind die beiden Hauptfiguren des Romans und sind aus meiner Sicht gut gelungen. Entgegen anderer Kritiken sehe ich die Figuren auch nicht als klischeebeladen an. Figuren und Geschehnisse können sicherlich auch in der deutschen Provinz im Realen beobachtet werden. Der Roman zeigt als Stärke, dass er seine Figuren für sich stehen lässt. Die Erzählerperspektive fokussiert sich auf die Figuren und wertet diese nicht aus der Distanz. Die beiden Jungen müssen über die vier Sommer hinweg herausfinden, welchen Weg sie für ihr Leben einschlagen möchten. Jedoch ist jedem eine gesellschaftliche Rolle angeboren, die es gilt abzustreifen, aber genau dieses Vorhaben neue Probleme hervorbringt. Die Väter der beiden Jungen kennen diese Herausforderungen schon und müssen ihnen nun bei den Söhnen erneut entgegen treten. So scheitern die Väter zum zweiten Mal an diesen Aufgaben. Die Veränderungen, welche die Kinder durchleben, lassen eine Distanz zu den Vätern entstehen. Die weiblichen Figuren blicken anders auf ihre möglichen Chancen, doch auch sie wünschen sich der Provinz zu entfliehen. Dies alles fügt sich zu einem gelungenen Ganzen. Die Figuren kämpfen gegen soziale Demütigung und Abhängigkeitsverhältnisse und geraten dabei auch in kriminellen Kontakt. Demgegenüber treten die Träume des Entfliehens, die allerdings immer eine glaubwürdige Option bleiben.

Die Sprache des Romans passt sich in der Übersetzung dem Milieu an und hält sich nicht mit unnötigen Beschreibungen auf. Mich hat der Roman mit seiner Konzeption und seinen Protagonisten überzeugt. Die Story ist glaubwürdig und die Figuren sind nicht klischeebelastet. Kurzum dies ist ein richtig guter Gesellschaftsroman aus Frankreich!

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧🐧1/2🐧

Nicolas Mathieu:

Wie später ihre Kinder

Hanser Verlag

ISBN: 978-3446264120

Preis: 24,00€

Coverabdruck erfolgt mit freundlicher Genehimgung des Verlags

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/wie-spaeter-ihre-kinder/978-3-446-26412-0/

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