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Heute stelle ich einen Roman der Longlist vor, der vor allem als Comeback seines Autors gefeiert wurde. Der letzte Roman von Tim Staffel erschien 2008, nun kehrt er mit dem Roman „Südstern“ erschienen im Kanon Verlag auf die literarische Bühne zurück. Das der Roman sogleich auch eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis mit sich brachte, ist natürlich eine besondere Auszeichnung.
Der Roman spielt in Berlin und erzeugt ein hartes Großstadt-Gemälde. Wir begleiten den Polizisten Deniz durch ein zukünftiges Berlin, in dem eine rechtsradikale Partei mit einer als Volkspolizei betitelten Einsatzmannschaft aktiv ist. Allerdings erfahren wir dies erst gegen Ende des Romans. Zuvor wird uns in einem atemberaubenden Tempo der Alltag von Deniz näher gebracht. Er arbeitet viel und muss dabei noch die Launen seiner Kollegin ertragen. Immer wieder schiebt er Doppelschichten, denn er muss die teure Pflege seines Vaters bezahlen. Dieser Vater lebt mit ihm zusammen, ist schwer dement, pflegebedürftig wegen Parkinson und zudem alkoholabhängig. Deniz versucht alles zu managen, sodass es keine Auswirkungen auf seinen fordernden Job hat.
„Alles färbt sich rosa, gelb, grünblau und rot, fließt ineinander, dann zieht sich ganz allmählich ein dunkler Schleier über die Farben, dimmt sie herunter, taucht alles in ein Nachtblau, Lichter beginnen darauf zu tanzen.“
Staffel, Tim: Südstern, 2023, Kanon Verlag, S.129.
Staffel wählt für diese Geschichte eine Mischung aus schnellen, wie Filmschnitte wirkende Szenen und Szenen, die Hoffnung auf ein weniger hektisches Leben machen. Deniz lernt nämlich Vanessa kennen und verliebt sich. Vanessa ist Pharmakologin, allerdings erzielt sie den Großteil ihrer Einnahmen mit dem Verkauf einer Glücksdroge. Ihr Freund verschafft ihr Zugang zu den besten Kreisen und weiß nicht wirklich etwas von ihrem Nebenerwerb. Er selbst ist in der Politik tätig und Drogenbeauftragter seiner Partei. Tim Staffel verwebt diese Ambivalenzen zu einem Netz, welches sich als Porträt der deutschen Hauptstadt entfaltet. Dieser Roman beschreibt ein Berlin, dessen Vielfalt zugleich belastend wirkt, ein Berlin, das sich in einem gefährlichen Strudel befindet und doch ist diese Liebesgeschichte auch eine der Hoffnung. Der Erzählrhythmus ist der Star dieses Romans, die kurzen Sätze, der Sound, den die Sprache entfaltet. Die raue Realität seiner Hauptfiguren bringt einem diese Figuren nahe. Deniz wird über den Roman zu jemandem, den man gerne begleitet und dem man ein Liebesglück wünschen muss. Staffel vermeidet bei seinen Beschreibungen Klischees. Die Drogengeschichte wirkt real, die Beiläufigkeit der Kriminalität entlarvt den gesellschaftlichen Schein. Man merkt dabei, dass der Autor sich mit den Lebenswirklichkeiten seiner Figuren auseinandergesetzt hat. Bestes Beispiel hierfür ist die Schilderung der Parkinsonerkrankung von Deniz Vater. Staffel findet die passenden Worte für die raue Welt, wirft einen realitätsnahen Blick auf die Schwierigkeit, kranke Menschen zu pflegen. Durch die Erzählweise aus Ich-Perspektiven können wir nicht nur Handlungen erleben, sondern haben direkten Einblick in die Blickwinkel auf die Welt.
„Sie sind zusammengeblieben, aber sie sind noch nicht zusammen über das Erlebte hinweg. Sie brauchen Zeit für sich. Ich werde sie kennenlernen, verspricht er mir, nur nicht heute, sie sind noch nicht so weit. Alles ist zerbrechlich, ich zerbreche alles.“
Staffel, Tim: Südstern, 2023, Kanon Verlag, S.276.
Staffel schildert jedoch nicht nur diese Liebesgeschichte, auch die Nebenfiguren sind Handlungstreiber. Die Kollegin von Deniz scheint ein gewisses Gefahrenpotenzial in sich zu bergen. In ihr und Deniz zeigt sich aber auch, dass es bei Migration nicht nur um deutsche kulturelle Identität geht. Der Glaube an das eigene Staatssystem und Skepsis gegenüber allem Neuen kann sich auch aus anderen Effekten heraus speisen. Auch dies ist eine Stärke des Romans, trotz des Fokus auf wenige Hauptfiguren, bietet das Berlin Porträt ein vielfältiges Panorama. Das hohe Erzähltempo kann begeistern, aber die Leserschaft gleichzeitig überfordern, sogar die Figuren scheinen manchmal dem Erzählstil zu unterliegen.
Fazit
Dieses Buch wirkt mit seiner ästhetischen Gestaltung und dem daraus entstehenden städtischen Porträt unserer Hauptstadt. Tim Staffel überzeugt mich mit der Wahl seiner stilistischen Mittel, die Geschichte packt mich dabei allerdings weniger. An einigen Stellen überdreht der Text und für mich wird die Geschichte nicht zu einem nachvollziehbaren Ende geführt, auch wenn dies wahrscheinlich nicht Ziel des Textes ist. Trotzdem ist Staffel ein guter Erzähler und dieser Roman hat für mich zu Recht einen Platz auf der Longlist für den Buchpreis erhalten.
Werbung aus Liebe zum Buch
Wertung: 🐧🐧🐧1/2 🐧
Tim Staffel: Südstern
ISBN: 978-3-98568-094-8
