Wieder einmal hat mich meine Leseleidenschaft auf die Buchmesse in Leipzig geführt. Mindestens alle zwei Jahre nehme ich mir diesen Trip vor. Die Messe unterscheidet sich mit ihrem Lesefest etwas von Frankfurt und ist an allen ihren Tagen fürs Publikum geöffnet.
In diesem Jahr war es aus meiner Sicht ziemlich voll und ich muss sagen, das ist Fluch und Segen zugleich. Zum einen bin ich freudig darüber, dass sich so viele Menschen für Erzählungen unterschiedlicher Art begeistern, zum anderen ist ein entspanntes Schlendern und Bücherschauen nur schwer möglich. Ich will gar nicht bewerten, welche Bereiche aus welchen Gründen überfüllt waren, allerdings hoffe ich, dass jeglicher Trend auch kritisch im Konsum ist. Lesen heißt für mich immer, dass ich mich kritisch mit dem Dargebotenen auseinandersetze.

Ich war drei Tage auf der Leipziger Buchmesse. Zunächst ist mein Ziel immer alle Stände gesehen zu haben und mir Bücher anzulesen und neue Impulse zu bekommen. Vorbereitend suche ich mir einige Lesungen, aber vor allem Diskussionsrunden zur Literaturszene heraus. Wie im Bericht zum Lesefest „Leipzig liest“ erläutert, mache ich diesen Trip regelmäßig mit einem ehemaligen Studienkollegen. Ich gestalte meinen Besuch immer so, dass ich einen bunten Gang durch die Literaturvielfalt auf der Messe mache und die Abende verbringen wir dann immer beim Lesefest. Natürlich trifft man auch die ein oder andere bekannte Person und freut sich über das Wiedersehen. Allerdings ist dies nicht meine Priorität bei Messebesuchen. Ich stelle das Erleben guter Bücher durch Lesungen, interessante Diskussionen und den Blick auf kleinere Verlage in den Fokus. Ich möchte Euch mit diesem Bericht einen Eindruck meiner Besuche des Messegeländes geben. In einem weiteren Bericht lasse ich das Lesefest „Leipzig liest“ und die Abendveranstaltungen Revue passieren.
Messetag 1 – Der Donnerstag
Wie immer sind wir bereits mittwochs angereist, haben auch schon den ersten Lesungsabend hinter uns und sind somit bereits in Literaturstimmung. Unsere erste Hotelnacht war gut und wir sind mit unserer Wahl sehr zufrieden. Wo wir untergekommen sind, wird nicht verraten, denn Hotelplätze sind während der Messe rar. Schon in der Straßenbahn merken wir, dass es 2025 ziemlich voll wird. Ich habe erstmals einen Pressezugang und bin sehr froh, mich nicht in die Schlange vor der Messehalle einreihen zu müssen.
Mein Tag startet mit einer Veranstaltung des Karl-May-Verlags. Vorgestellt wird die Anthologie „Old Shatterhand – Neue Abenteuer“. Geschichten von Autor:Innen im Stil von und mit den Figuren von Karl May, eine Schulklasse sitzt im Publikum und vielleicht kann ja der May-Virus befallen. Das Buch findet natürlich den Weg auf den Blog.

Die zweite Veranstaltung an diesem Tag habe ich mit Blick auf das Thomas Mann Jahr 2025 in mein Programm genommen. Matthias Lohre stellt seinen Roman „Teufels Bruder“ vor und berichtet darüber, wie er seinem Stoff, einer Italienreise des jungen Thomas Mann, begegnet ist. Das Buch über die beiden bekannten literarischen Brüder gefällt mir, und ich werde in diesem Jahr ein Leseprojekt zum Jubiläumsjahr Thomas Mann machen.
Ich nutze jede Buchmesse auch immer dafür, mich mit der Literaturszene und all ihren Facetten auseinanderzusetzen. Ich wollte meinen Blog anpassen, Neues lernen und auch schauen, was es noch so alles gibt. In einer Diskussionsrunde zu Literaturpodcasts geht es um die Frage, wie diese zur klassischen Literaturkritik passen. Es diskutieren Ludwig Lohmann vom Podcast „blauschwarzberlin“, Georgina Fakunmoju mit ihrem Podcast „MyPoC Bookshelf“ und die Literaturjournalistin und Kritikerin Lara Sielmann.
Sie diskutieren Literaturpodcasts als Ergänzung zur „klassischen Literaturkritik“ und stellen auch Thesen in den Raum, u.a. dass Podcasts Lücken des Feuilletons füllen. Hier ist man sich jedoch nicht gänzlich einig, anders als bei der Situation, dass der Raum für Literatur in Feuilletonformaten kleiner geworden ist.
Aus dieser Runde nehme ich nicht nur mit, diese drei klugen Menschen fortan regelmäßig zu verfolgen, sondern auch, dass ich über meinen Blog und seine weitere Entwicklung noch etwas nachdenken will. Ebenso beeinflusst die Diskussion meine Überlegungen zur Literaturvermittlung. Ich mache mir nun Gedanken darüber, wo ich mich zukünftig verorten möchte.

Ansonsten habe ich mir viele Bücher angesehen. In Erinnerung bleiben „16:0“ von Dietmar Sous aus dem Transit Verlag. Es geht um den 16:0-Kantersieg der Deutschen gegen die russische Fußballnationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm. Erzählt wird aus der Perspektive des Nationaltorwarts, einem Schornsteinfeger, der zu einer Gruppe von sehr jungen Kickern gehörte, die dann mit Holstein Kiel Deutscher Meister wurden, so der Klappentext.
Zudem ist mir „Baroco“ von Martin Horvath bei Kremayr Scheriau aufgefallen. Hier geht es um eine vermeintliche Utopie eines nachhaltigen Lebens im Dienste des Allgemeinwohls in einem italienischen Dorf, in dem sich dann doch die Frage nach kapitalistischen Hintergründen zu stellen scheint.
Im Kinder- und Jugendbuchbereich bleibt mir der Roman „Klub der seltsamen Kinder“ von Petra Soukupova im Gedächtnis. Vier schräge und sehr unterschiedliche Charaktere treffen aufeinander und möchten ausbrechen, eine spannende Ausgangssituation, die ich gerne lesen möchte.
Den Messetag habe ich dann mit einem Gespräch zum Roman „Ginsterburg“ von Arno Frank abgeschlossen, meinem Tageshighlight und einem Buch, das nun auf meinem Lesetisch ganz oben liegt, weshalb ich an dieser Stelle bislang nicht so viel verraten möchte.
Messetag 2 – Der Freitag

Ein Messetag und der zweite Teil der langen Leipziger Lesenacht liegen hinter uns. Die Nacht war nicht zu lange, aber der Schlaf ausreichend. Wir waren gegen halb eins im Hotel, der Wecker klingelte dann wieder um zwanzig vor acht. Zu spät darf man in diesem Jahr keinesfalls fahren, denn es sind wirklich unglaublich viele Besucher:Innen dar. Wir haben uns heute entschieden, nicht am Hauptbahnhof umzusteigen, sondern vor der Masse, und das klappt gut. Ich nutze den Vorteil des Presseeingangs, um sogleich in den Hallen bei den Verlagen zu stöbern. Ich entdecke die Edition Kommunalpolitisches Forum Sachsen und ihre Bücher für kommunalpolitisch engagierte Menschen. Als ehemaliger Mandatsträger ist dies für mich weiterhin interessant. Ich freue mich, dass heute auch ein Blick in Fachbücher möglich ist.
Meine erste Veranstaltung ist Zufall, ich kann bei Alhierd Bacharevič hineinhören, dem Preisträger des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung 2025. Er stellt seinen Roman „Europas Hunde“ vor und spricht über die europäische Idee und die politische Situation in Weißrussland. Ich erlebe ein kluges Gespräch und nehme das Buch auf meine Leseliste. Anschließend besuche ich „Druckfrisch“ mit Dennis Scheck. Ich bin oft nicht seiner Meinung, doch ein Besuch bei ihm gehört traditionell dazu, und manchen Lesetipp nehme ich gerne mit. Herausgesucht als Veranstaltung hatte ich mir dann Isabella Straub mit ihrem Roman „Nullzone“ am Gemeinschaftsstand des Österreichischen Buchhandels. Leider kommt es gar nicht dazu, dass ich der Autor:In lausche, denn die Moderation ist unterirdisch. Der Moderator stellt sich und seine pseudo-lustige Art in den Vordergrund. Ich kann es wirklich nicht ertragen und empfinde es als unangebracht gegenüber der Autor:In. Mir ist solches Verhalten männlicher Moderatoren schon einige Male im Umgang mit Frauen aufgefallen, eigentlich sollte es der Vergangenheit angehören. Gerne hätte ich in diesen Roman über Gentrifizierung hereingehört, aber nicht so. Er bleibt auf meiner Liste.
Der Literaturrat Nordrhein-Westfalen ist auf dieser Messe wieder mit einem Stand vertreten und bietet spannende Branchendiskussionen. Über die freie Szene und Literaturveranstaltungen diskutiert Tristan Marquardt, André Patten und Susanne Meinel. Es ist spannend zu hören, wie sich die Szene entwickelt, was es für Veranstaltungsideen gibt und wie auf diese Weise zur literarischen Nachwuchsförderung beigetragen wird. Es ist auch richtig, dass man die Sparzwänge der Kommunen und den Griff in die Kulturfinanzierung kritisiert, doch was noch Quellen der Finanzierung sein könnten, wird nicht beleuchtet. Ich denke als ehemaliger Kommunalpolitiker schon lange über Finanzierung abseits öffentlicher Gelder nach, denn die Sparzwänge sind real.

Meinen Messetag schließe ich mit einem Besuch beim NDR-Literaturpodcast „Eat. Read. Sleep“ ab.
An meinem zweiten Messetag habe ich es geschafft, alle Stände zu sehen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Buch „Frühstück in Helsinki“ von David Schalko. Den Autor kenne ich schon, diesen Coming-of-Age Pop-Roman bis jetzt nicht.
Entdeckt habe ich für mich ebenfalls den Roman „Die Perfektionen“ von Vincenzo Latronico. Es geht um ein Pärchen, das eigentlich den Traum unserer liberalen Welt zu haben scheint (den natürlich jeder auf andere Art definiert, aber der Klappentext spielt damit) und doch zieht eine diffuse Unzufriedenheit auf. Es könnte eine interessante Charakterstudie sein.
„Dunkle Momente“ von Elisa Hoven scheint mir einen spannenden Blick auf unser Strafrechtssystem und Moral zu werfen. Vielleicht ähnlich wie bei Ferdinand von Schirach … ich werde es sehen, denn dieses Buch werde ich lesen.
Bei den Kinder- und Jugendbüchern habe ich die Reihe „Die magische Bibliothek der Buks“ von Nina George entdeckt. Die Buks sind Buchschutzgeister und müssen eine magische Bibliothek schützen. Mir gefallen fantastische Geschichten mit Buchbezug, und somit werde ich den ersten Band ausprobieren. Gefallen haben mir auch die Bücher zur Eule Elli bei Magellan, einem meiner Lieblingsverlage.

Interessant ist sicherlich auch „Geheimname Eisvogel“ von Liz Kessler. Zwei jüdische Mädchen müssen vor den Nationalsozialisten flüchten, und eine der beiden möchte im Exil beim Widerstand helfen. Ich freue mich auf eine Lektüre, die dabei helfen kann, diese schlimme Zeit zu vermitteln.
Einen Vorgeschmack auf meinen abendlichen Besuch bei der Norwegischen Literaturnacht gab mir an diesem Messetag die norwegische Autorin Hilde Myklebust mit ihrem Roman „Auch am Tag leuchten die Sterne“. Sie verarbeitet große Gefühle beim Aufwachsen eines jungen Mädchens, setzt sich mit den Themen Freundschaft und Mut auseinander.

Messetag 3 – Der Samstag
Die Straßenbahn ist leer, anders als die beiden Tage zuvor, und ich bin verwirrt. Die Verwirrung löst sich, als wir am Messegelände ankommen. Es sind wohl viele einfach nur sehr früh aufgebrochen. Masse an Menschen in ellenlangen Schlangen – unfassbar. Ich freue mich über meinen Presseeingang. Ich bin immer noch vom zauberhaften Norwegischen Literaturabend geflasht.

Heute stehen nur noch Veranstaltungen auf meiner To Do Liste, die Hallen habe ich eigentlich durch, entdecke aber doch noch das ein oder andere. Den Tag beginne ich bei der ARD-Literaturbühne. Hier stellt zunächst Steffen Schröder seinen Roman „Der ewige Tanz“ über Anita Berber vor. Anschließend entführt Till Raether mit „Disko“ in die 70er Jahre und die Diskozeit. Beides auf ihre je eigene Art spannende Bücher und sie kommen mit auf die Leseliste.

In meiner Pause mache ich dann noch ein Erinnerungsfoto mit Weltmeister Christoph Kramer, dessen ersten Roman ich im Mai beleuchten werde, wenn ich seine Lesung in Frankfurt besuche. Anschließend verfolge ich ein Gespräch mit Ulrike Draesner und Kathrin Röggla über die Schreiblehrgänge an Universitäten. Draesner bleibt mir mit einem wunderbaren Plädoyer für Literatur und die Freiheit von Kunstrasen in Erinnerung. Schon wenige Momente später geht es im Gespräch von Svenja Rainer und Til Strasser darum, ob man Literaturveranstalten lernen kann, und dies wird klar bejaht. Ich lerne die Reihe „zwischenmiete“ kennen. Hier bringt man Lesungen in studentische Wohngemeinschaften. Die Gespräche beim Literaturrat NRW zeigen mir, dass es sich lohnt, die Sichtbarkeit von Literatur zu verbessern und Räume nutzbar zu machen.

Den Schluss des Tages bildet wiederum die ARD-Literaturbühne, wo ich Steffen Kopetzky höre, wie er seinen neuen Roman „Atom“ vorstellt. Es handelt sich um eine spannende Spionagegeschichte, basierend auf fundierten historischen Recherchen. Danach höre ich Maren Wurster und Carolin Würfel. Letztere hat mich schon bei der Leipziger Lesenacht mit ihrem Roman „Zuhause ist das Wetter unzuverlässig“ über drei Frauengenerationen hinweg überzeugt. Maren Wurster schafft dies mit „Hier bleiben können wir auch nicht“ ebenfalls im Gespräch. Ihre Hauptfigur flüchtet aus der digitalen Abhängigkeit in eine Landkommune, doch irgendwie scheint sich ihr Körper zu sperren. Abschließend höre ich Kurt Prödel seinen Roman „Klapper“ vorstellen, der mich an Bov Bjerg „Auerhaus“ und Wolfgang Herrndorf „Tschick“ erinnert. Kurz gesagt, zwei meiner Lieblingsbücher und somit muss ich „Klapper“ lesen.

Entdeckt habe ich an diesem Tag noch den Roman „Vom Ende der Bundeskegelbahn“ von Frank P. Meyer, mit dem der Autor den „Grimmelshausen-Preis“ gewonnen hat. Hier muss ich erst einmal zwischen Humor und möglichen Klischeefallen abwägen, die im Text auf mich warten könnten. Ebenfalls entdeckt habe ich das Sachbuch „Ein HSV-Star in Widerstand und KZ“ über „Assi“ Halvorsen, der später Funktionär im norwegischen Fußball wurde.
Nun steht noch eine letzte Abendveranstaltung an und dann ist der Trip beendet.
„Worte bewegen Welten“ war das Motto der diesjährigen Buchmesse in Leipzig und schöner kann man fast nicht für Bücher werben. Deswegen tritt auch neben ganz vielen Eindrücken ein Jutebeutel mit dem Logo als Erinnerung die Heimreise an. Es war wieder eine schöne Kulturreise und ich freue mich schon auf den nächsten Besuch, spätestens in zwei Jahren.