Rückblick Leipzig liest 2025

Mein wiederkehrender Trip nach Leipzig zur Buchmesse war vor Jahren eine gemeinsame Idee mit einem ehemaligen Kommilitonen. Ich habe damals gleich um ein paar Tage verlängert und Urlaub in dieser wunderschönen Stadt gemacht. Ich habe mich äußerst wohlgefühlt und somit entstand ein regelmäßiger Trip. Die Leipziger Buchmesse wird begleitet vom Lesefest „Leipzig liest“, welches auf und neben dem Messegelände einfach ein unfassbares Programm bietet. Hier muss ich auch als Hesse klar festhalten, dass dieses Lesefest für mich schöner als jenes in Frankfurt ist. Begeistern konnte mich schon im ersten Jahr „Die Lange Leipziger Lesenacht“, ein Speeddating mit vielen tollen Büchern in den Gewölben der Leipziger Moritzbastei. Ich weiß heute nicht mehr, wie wir damals auf diese Veranstaltung gekommen sind, aber uns hat das Leipzig-Virus infiziert. Unsere Auseinandersetzung mit dem Programm hat über die verschiedenen Besuche hinweg zugenommen und mittlerweile ist jeder Abend unseres Aufenthalts gefüllt. Auch in diesem Jahr waren wir von Mittwoch bis Sonntag in Leipzig. Somit beginnt der Trip für uns mit dem Lesefest und die Messe startet erst einen Tag später. Ich trenne deshalb meinen Leipzig-Rückblick in Abendveranstaltungen und Messegelände.

Nach einer entspannten Bahnfahrt haben wir unser Hotel bezogen. Jedes Jahr eine spannende Situation, da wir noch nie die gleiche Unterkunft wieder bezogen haben. Dieses Mal würden wir dies jedoch gerne wiederholen, denn eigentlich hat alles gepasst. Danach ging es in die Stadt, denn es blieb Zeit für unseren traditionellen Restaurantbesuch im Auerbachs Keller. Ein touristisches Highlight, aber auch mit tollem Service und leckerem Essen. Dann ab in die Moritzbastei zur Lesenacht.

Lange Leipziger Lesenacht

Jede Stunde von 19 bis 22 Uhr (donnerstags ab 18 Uhr) beginnt eine Lesung in verschiedenen Räumen. Das Publikum kann dann die Räume wechseln. Schon hier zeigt sich ein hoher Besucher:Innenandrang. Wir haben uns klar vorher festgelegt, was wir wann sehen wollen, und am Ende hat es trotz der Fülle an Menschen geklappt.

Der Abend beginnt mit Nils Mohl und seinem Jugendroman „Engel der Nacht“. Er hat einen jungen Mann als Protagonisten gewählt, der nach dem Abitur seinen weiteren Weg sucht. Auf St. Pauli gelandet, trifft er auf einen Schutzengel. Ich bin sofort begeistert, denn mit Schutzengeln in Kinder- und Jugendbüchern habe ich mich während des Studiums schon mal beschäftigt. Mit Mohl liest Ana Wetherall-Grujic, deren Buch „Blutsschwestern“ schon vor diesem Abend in einem Leseprojekt vorgesehen war. Angesichts dessen schreibe ich an dieser Stelle nicht viel.

Danach haben wir uns Domenico Müllensiefen mit seinem neuen Roman „Schnall dich an, es geht los“ angesehen. Ihn haben wir mit seinem ersten Buch schon im Hessischen Literaturforum Mousonturm live erlebt. Er ist eine erfrischende Stimme aus Ostdeutschland, sympathisch und schon sein erstes Buch hat sich klasse gelesen. Im neuen Roman geht es um einen Selbstmord, um vielleicht nicht mehr vorhandene gute Zeiten und darum, dass man trotzdem weiter macht und auch Träume nicht vergisst. Humor und Tragik nah beieinander und das in einer schönen direkten literarischen Sprache. Ich freue mich auf die Lektüre.

Bei unserem ersten Besuch in Leipzig haben wir Clemens Meyer kennengelernt, der damals Fragmente aus einem möglichen Karl-May-Roman vorgestellt hat. Nun, Jahre später schließt sich der Kreis, denn er präsentiert „Die Projektoren“. Ich habe das Buch schon besprochen (https://www.erzaehlwas.de/meyer-clemens-die-projektoren/) und kann es nur empfehlen. Grundsätzlich ist jede Lesung mit Clemens Meyer ein interessantes Erlebnis.

Den Abschluss des Abends bildeten Clemens Böckmann und Kristina Schilkau. Letztere stellte ihr Buch „Alles, was lebt“ vor, welches mich nicht gänzlich überzeugen konnte. Böckmann hatte ich schon bei der vergangenen Frankfurter Buchmesse mit seinem Roman „Was du kriegen kannst“ erleben dürfen. Der Roman erzählt vom Leben einer Sexarbeiterin im Auftrag der Stasi und macht dies literarisch, indem auch Akteneintragungen Teil des Romans sind. Ein spannender Text, den ich auf jeden Fall besprechen werde.

Insgesamt ein schöner Auftakt in einer wunderbaren Location.

Fortgesetzt wurde die Lesenacht dann am Donnerstag. Der erste Messetag war durchaus anstrengend, aber die Lust auf den Abend groß, und für mich begann er mit Sara Gmuer und Carolin Würfel. Sara Gmuer hatte ich mit ihrem Roman „Achtzehnter Stock“ eigentlich auf der Leseliste. Doch bei mir funktioniert ihre Geschichte über eine alleinerziehende Schauspielerin zwischen Glamourwelt und Mutterdasein nicht. Ich weiß, viele empfanden ihn als richtig gut, aber mich konnte die geschilderte Lebenswelt nicht überzeugen. Ganz anders ging es mir mit „Zuhause ist das Wetter unzuverlässig“ von Carolin Würfel. Sie spannt eine Frauengeschichte über drei Generationen und lässt diese auf vielfältige Art und Weise miteinander in Dialog treten. Auf jeden Fall ein Lesetipp.

Der Höhepunkt des Abends bildete das Duo Sarah Lorenz und Kathrin Weßling. Zum einen überzeugten die Bücher, zum anderen präsentierten sich die beiden Autor:Innen äußerst sympathisch. Sarah Lorenz erzählt in „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ von Elisa, die aus schwierigen Verhältnissen kommt, nach ihren Träumen, aber auch der großen Liebe strebt. Sie erzählt dies mit starkem Bezug auf die Lyrikerin Mascha Kaléko, wirklich ein toll geschriebenes Buch. Kathrin Weßling wird oft als Stimme einer jungen Generation gesehen, genauer gesagt eigentlich auch irgendwie meiner Generation. Ihr neues Buch „Sonnenhang“ berichtet von einer Enddreißigerin, die in einem ereignisarmen Leben feststeckt. Weßling findet eine Stimme für die bestehenden Erwartungen und die in ihnen versteckten Widersprüche. Ich weiß nicht, ob dies eine Stimme meiner Generation ist, aber dass ich es gerne lesen möchte.

Alle Lesungen werden von kurzen Gesprächen begleitet, die Atmosphäre unter vielen Buchbegeisterten bei Getränken und Snacks ist insgesamt stimmig und ich weiß wieder, warum ich diese Veranstaltung so schätze.

Wir bleiben im gleichen Raum und dürfen als Nächstes Helene Hegemann und ihren neuen Roman „Striker“ kennenlernen. Sie erzählt von einer Frau, die nur mit dem Buchstaben N benannt ist und in einem Problembezirk aufwächst. Ängste spielen eine Rolle und Mixed Martial Arts als Ausgleich. Hegemann schreibt stilistisch vielfältig und dies verleiht dem Buch eine intensive literarische Qualität. Zudem gibt sie auf die wahrscheinlich immer gestellte Frage „Wie viel Autorin steckt im Buch?“, die einzig richtige Antwort: Es steckt immer etwas drin, denn sie hat es sich ja ausgedacht. Ich finde, dass man sich auf dieser Basis dem Thema Authentizität gut nähern kann.

Anschließend erleben wir Michael Ebert mit „Die Regenwahrscheinlichkeit beträgt null Prozent“. Der Roman erzählt von einem Mathelehrer, in dessen Leben alles auf einmal schiefzulaufen scheint. Ich muss an Hiob denken, bei all den Dingen, die Ebert seinem Protagonisten zumutet, auch wenn die Dramatik der Ereignisse mit viel Humor aufgelockert wird. Katharina Köller stellt „Wild wuchern“ vor, die Sprache des Buches ist intensiv. Ihre Hauptfigur flüchtet zu ihrer Cousine auf eine Tiroler Alm, und die beiden lernen sich in der Abgeschiedenheit nochmals kennen. Mich überzeugt die poetische Sprache, beim Plot bin ich unsicher.

Zum Schluss der Lesenacht wird es für uns humorvoll. Thomas Nicolai, Leipziger Comedian, hat eine Satire über ein Dorf in Nordsachsen geschrieben. Ein Dortmunder Ehepaar zieht dorthin und entwickelt die Idee, die Menschen vier Wochen DDR erleben zu lassen. Ein höchst amüsantes Buch, dessen humorvoller Umgang mit Nostalgie aber auch treffend für kleinere Orte im Rest der Republik wäre. Kombiniert wird dieses Buch in der letzten Lesung des Abends mit dem Roman „Auf die Fresse!“ von Johann Christian Ullrich. Vier Fußballfans wollen das größte Spiel ihres Lieblingsvereins gegen den FC Bayern erleben und absolvieren dafür einen verrückten Roadtrip.

Die Lange Leipziger Lesenacht war wieder äußerst gelungen, hat mir viele Bucheindrücke gebracht und trotz der großen Zuschauerzahl war es möglich, die Räume zu wechseln. Allerdings glaube ich, die Kapazitätsgrenze ist nun erreicht. Ich war auf jeden Fall nicht zum letzten Mal dort.

Norwegischer Abend

Absoluter Höhepunkt meines Büchertrips war die „Norwegische Literaturnacht“, welche in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig stattfand. Erneut eine wunderbare Location, welche den Charme eines alten Theatersaals versprüht. Die Örtlichkeit wurde gepaart mit einem perfekt kuratierten Abend, der mir einen Überblick über die Facetten der norwegischen Literatur gegeben hat. Zudem wurde der Abend wunderbar moderiert, wobei für mich dabei Thomas Böhm herausragte. Eloquent, humorvoll und tief in den Texten drin, moderierte er mit Enthusiasmus und sorgte dafür, dass der Zauber, den ich bei Literatur empfinde, auf den ganzen Saal übersprang.

Begonnen wurde der Abend mit Trude Teige. Sie stellte zum einen ihre Krimireihe um die Ermittlerin Kajsa Coren vor. Mittlerweile umfasst diese Reihe sieben Bände und die Erfolgsreihe aus Norwegen knüpft an heimische Erfolge nun in Deutschland an. Teige glaubt, das Geheimrezept dieser Reihe sei, dass sie mit Kajsa eine normale Ermittlerfigur ohne große Probleme im Privaten geschaffen hat. Außerdem sprach sie über ihre historischen Bücher. Sie erzählt in einer Trilogie die Geschichte von drei Generationen anhand dreier beeindruckender Frauen, und der dritte Band „Wir sehen uns wieder am Meer“ erscheint im Juli. In diesen Büchern ist es ihr wichtig, gut recherchiert zu haben und Geschichten zu präsentieren, die uns neue Perspektiven aufzeigen und uns an Vergangenes erinnern.

Anschließend stellte Mattias Faldbakken seinen Roman „Armes Ding“ vor. In diesem Buch widmet sich der auch als bildender Künstler tätige, Faldbakken dem Motiv des „Wilden Kindes“. Es wird eine Bildungsgeschichte erzählt, die natürlich mit vielen uns bekannten Motiven spielt, zugleich aber auch aktuelle Themen verarbeitet. Oliver Lovrenski war der jüngste Autor an diesem Abend. Sein Roman „bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann“ erzählt von einer Jungs-Clique, die in schwierigen Verhältnissen groß wird. Es geht um ihre Ängste und Träume und wie sie sich den Reizen der Kriminalität aussetzen. Sprachlich ist Lovrenski dicht an diesen jungen Figuren dran und schildert die Geschehnisse intensiv.

Die ersten drei Autor:Innen überzeugten mit ihren Werken, mit Sympathie und klugen Aussagen in den Gesprächen und machten Lust auf die Bücher.

Nach einer Pause ging es mit Johan Harstadt weiter. Von ihm steht das Buch „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ bereits ungelesen in meinem Regal, doch nach diesem Abend ist klar: Ich muss dieses und das neue Buch „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ lesen. Der Roman ist ein Erinnerungsbuch. Ingmar erinnert sich mit seinen Freunden an die eigene Jugend und sie überlegen, was sie zusammengehalten hat. Das Buch ist eine pointierte und doch ausdifferenzierte Gesellschaftsdiagnose, ist fundiert recherchiert, hoch reflexiv und literarisch wunderbar ausgearbeitet.

Intensiv ging es mit Hanne Orstavik weiter, die sich fokussiert mit Entwicklungsgeschichten ihrer Figuren beschäftigt. In ihrem Roman „bleib bei mir“ erzählt sie von einem Neuanfang nach dem Tod des geliebten Partners. Die Protagonistin lernt einen jüngeren Mann kennen und lässt sich in eine intensive Beziehung fallen. Zugleich schreibt die Figur einen neuen Roman, aus dem sich eine Metaebene des Romans entwickelt.

Den Abschluss bildete Karl Ove Knausgard. Er ist natürlich der bekannteste Name, wobei ich noch nichts von ihm gelesen habe. Letzteres wird sich ändern, denn wie er über seinen Morgenstern-Zyklus an diesem Abend spricht, ist eloquent und klug. Die vorgestellten Passagen sind Ausdruck von vielen Verweisen auf große Literatur. Knausgard beschäftigt sich kunstvoll mit den Verführungen des Lebens. Ich erkenne schnell die hohe literarische Qualität von „Die Schule der Nacht“ und verliere mich auch dank der Böhm Moderation schnell in diesem Buch. Insgesamt ein herausragender Abend mit nur tollen Büchern und sympathischen, äußerst klugen Gesprächen.

Beste erste Bücher

Unsere letzte Veranstaltung führte uns wieder in eine interessante Location. Im Ost-Passage-Theater haben wir die Veranstaltung „Beste erste Bücher“ besucht. Diese findet ansonsten immer im Rahmen des Literarischen Herbstes in Leipzig statt. Nun also Premiere im Frühjahr. Josef Braun und Linn Penelope Rieger betreiben gemeinsam den Buchpodcast „Wasser und Buch“ und moderieren den Abend. Es gab zu jedem Buch eine kurze Zusammenfassung und eine Einschätzung. Anschließend erfolgte eine kurze Lesung. Leider musste Aria Aber absagen, trotzdem präsentierte Rieger das Buch kurz. In „Good Girl“ geht es um die 19-jährige Nila, die im Technorausch versucht, ihren familiären Erinnerungen zu entkommen. Sie lernt einen Mann kennen, der bereit ist, sie zu fördern und sie in Schriftstellerkreise einführt. Doch Nila muss erkennen, dass es Grenzen des Erträglichen gibt. Ich möchte dieses Buch auf jeden Fall lesen.

Begeistern konnte mich anschließend Kathrin Bach mit ihrem Roman „Lebensversicherung“. Sie entführt uns in einen Provinzort und eine familiäre Versicherungsdynastie. Das Buch wirkt mit feinen Beobachtungen, Humor und pointierten Reflexionsgedanken. Für mich eine kommende Lektüre.

Annegret Liepold hat einen Roman über eine Jugend auf dem Land geschrieben. In ihm kommt Wut auf und die Figuren setzen sich mit Zugehörigkeitsgefühlen auseinander. Das Buch „Unter Grund“ ist sprachlich intensiv, eine abschließende Entscheidung konnte ich nicht treffen.

Ricarda Messner erzählt in ihrem Roman „Wo der Name wohnt“ von einer jungen Frau, welche die Erinnerung an ihre Familie bewahren möchte und den Spuren der eigenen Herkunft folgt.

Christian Mitzenmacher schreibt in seinem Debüt „Knallkrebse“ über ungleiche Freundschaften, kulturelle Unterschiede, die Liebe und das Heranwachsen. Humorvoll, emotional und intensiv nähert sich dieses Buch einer Fluchtgeschichte mit Perspektive eines Helfenden. Der Abend wurde von Mascha Unterlehberg mit ihrem Roman „Wenn wir lächeln“ beschlossen und auch sie erzählt eine Freundschaftsgeschichte. Die Freundinnen bestehen Herausforderungen und doch findet auch Gewalt Eingang in ihre Welt.

Zusammengefasst: Ein schönes Veranstaltungsformat, um Debütromane kennenzulernen.

Insgesamt waren die Abendveranstaltungen von „Leipzig liest“ wieder äußerst gelungen. Mir haben Locations und Formate gefallen, und ich bin mit wunderbaren Eindrücken und Buchtipps abgereist. Danke an alle engagierten Menschen für dieses tolle Programm.

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