Ein turbulenter Ritt durch unsere Wahrnehmungsstruktur – Sterblich, Ulrike: Drifter

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In der kommenden Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse und es steht damit auch die Vergabe des Deutschen Buchpreises an. Seit Jahren lese ich viele Bücher, welche für diesen Preis nominiert sind. Erstmals möchte ich in diesem Jahr alle 20 Titel der Longlist lesen und auf diesem Blog besprechen. Unabhängig davon, welcher Titel schlussendlich durch eine Jury zum besten Roman des Jahres erklärt wird, finden sich auf dieser Liste Bücher, denen ich Aufmerksamkeit schenken möchte.

Da es nun schon eine Shortlist gibt, möchte ich zunächst mit den Titeln dieser Liste beginnen. Eine der Nominierten ist Ulrike Sterblich mit dem Roman „Drifter“, erschienen im Rowohlt Verlag. Dieses Buch habe ich schon vor seiner Nominierung erworben, da es mir bei einem Schmökergang in einer meiner Lieblingsbuchhandlungen aufgefallen war.

„Wo und wann genau Killer und ich uns kennengelernt haben könnten, lag tief verborgen im Gestrüpp der Kindheit, verwoben mit einer Zeit, in der die Dinge noch nicht scharf voneinander getrennt oder kartiert waren.“

Sterblich, Ulrike: Drifter, 2023, Rowohlt Verlag, S.93.

Den Roman kann ich zu Beginn schon einmal als ein Buch einstufen, welches einem den Umgang nicht erleichtert und an einigen Stellen auch bewusst die Leserschaft verunsichert. Im Zentrum stehen die beiden Freunde „Wenzel“ und „Killer“. Die Beiden sind im gleichen Wohnblock aufgewachsen und haben somit schon viel gemeinsam erlebt. Sie stehen mittlerweile mitten im Berufsleben und sind beide in den Medien tätig. Killer ist PR-Chef einer größeren Firma, und Wenzel moderiert die Online-Community eines öffentlich-rechtlichen Senders. Doch ihr Leben gerät durcheinander, als sie im Zug einer mysteriösen Frau begegnen. Kurz darauf wird Killer vom Blitz getroffen und dies verändert sein Leben. Bei der mysteriösen Frau handelt es sich um die Influencerin Vica. Neben beliebten Online-Videos leitet diese ein angesagtes Börsenunternehmen. Vica übernimmt die Rolle als Handlungstreiberin durch Provokation. In all ihren Handlungen zeigen sich uns bekannte Medienschemata und Verwirrungen, indem Vica bewusst die Grenze zwischen Inszenierung und Realität verwischt. Für die beiden Freunde stellt dies eine Herausforderung für ihre Freundschaft dar, denn auch ihre Rollen verändern sich.

Schon an dieser Zusammenfassung ist sichtbar, dass dieser Roman uns nicht mit einem klassischen Handlungsmuster begleitet. Ulrike Sterblich erzählt uns eine Freundschaftsgeschichte, die von einer erschwerten Weltwahrnehmung herausgefordert wird. In dieser Geschichte wird schnell deutlich, dass hier fantastische Elemente immer wieder in eine real anmutende Weltschilderung hineinbrechen, ohne den Boden der Erzählung gänzlich wegzuziehen. Dies gelingt Ulrike Sterblich zunächst durch die Figur Vica. Sie ist die Verführerin medialer Welten, bietet Szenarien an, in denen fantastische Elemente sich in die Realität schieben. Gut sichtbar ist es, wenn sie den Wohnblock, wo Killer wohnt, umgestalten lässt. Ihr ist es dabei egal, ob es dafür eine Erlaubniserteilung braucht, sie schafft eine neue Erfahrungswelt. Für jeden Gast dieser Welt bietet sie eine persönliche Einladung. Für mich stehen die Einladungen zu dieser Welt metaphorisch für einen persönlichen Social Media Zugang. Auch letzterer wird durch Algorithmen gezielt auf mich abgestimmt. Es werden somit Wahrnehmungswelten eingeschränkt und damit fiktionalisiert. Genau diese Veränderung unserer Wahrnehmung ist ein hochaktuelles Thema des Buches. Abzusehen ist dies auch an der Thematisierung des McGurk Effektes. Jener Effekt beschreibt, wie man auditive Wahrnehmung durch visuelle Wahrnehmung überlagern und damit beeinflussen kann. Genau dies geschieht im Roman, wenn ich mich als Leser:In fragen muss, geschieht dies jetzt, ist dies ein reales Erlebnis, bis hin zu Momenten, wo überhaupt keine Grenzen mehr zu erkennen sind.

„Du siehst die Wörter weiter vor deinem geistigen Auge. Wahrnehmung ist eben nur Wahrnehmung.“

Sterblich, Ulrike: Drifter, 2023, Rowohlt Verlag, S.61.

Dies wird spielerisch leicht erzählt und in einer Sprache, die einen stetig mitnimmt trotz der durchaus komplexen Plotanlage. Man könnte diesen Roman als eine deutsche Antwort auf den Magischen Realismus sehen, doch dafür steckt mir zu viel Gesellschaftskritik und Mediensatire im Text. Allerdings hat sich dieser Text mir lange versperrt und erst durch Gespräche und Lesen von Rezensionen ist die Zugänglichkeit eingetreten. 

Überlagert wird die Geschichte noch von dem Mysterium des Autors Drifter. Diesen kennt niemand und in Online-Foren wird sich intensiv mit seinem Werk auseinandergesetzt. Damit karikiert Sterblich auch die Literaturszene und lässt es darin enden, dass Vicas Börsenkurs abstürzt, nachdem diese ankündigt, in die Buchbranche zu investieren. Hier karikiert jemand ganz viele Elemente unserer Welt und hält uns durch die Wahrnehmungsveränderungen beim zweiten Nachdenken den Spiegel vor.

Dahinter kommt man jedoch nur, wenn man sich von Vica und ihrer aufgedrehten Entourage beim Lesen nicht verwirren lässt, und dies ist eine lesende Herausforderung. Dieser Roman stellt alles infrage, was er selbst erzählt, außer die stabile Männerfreundschaft. Das Ergebnis ist eine kunstvoll inszenierte Gesellschaftskritik, die in Story und Gestaltung kommentierend wirkt.

Fazit

Abschließend möchte ich dieses Buch all denjenigen empfehlen, die sich gerne durch literarische Texte herausfordern lassen. Ulrike Sterblich hat einen fein komponierten Roman geschrieben, der ganz bewusst und gezielt zwischen real anmutenden Geschehnissen und fantastischen Einschüben wechselt und Welten ineinander verschwimmen lässt. Hier findet sich kluge literarische Gesellschaftskritik, die es in der Form des Romans zurecht auf die Shortlist geschafft hat.

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧1/2🐧

Ulrike Sterblich: Drifter

ISBN: 978-3-498-00326-5

https://www.rowohlt.de/buch/ulrike-sterblich-drifter-9783498003265

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