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Auf den Roman, den ich heute bespreche, hat mich ein guter Freund aufmerksam gemacht. Beeinflusst wurde ich zudem von einer Besprechung im Deutschlandfunk. In dieser wurde ein Vergleich zum Roman „Soloalbum“ von Benjamin von Stuckrad-Barre gezogen und dies reizte mich. Hintergrund ist, dass ich mich seit Jahren mit Popliteratur auseinandersetze. Für all diejenigen, die mit diesem Begriff nicht so viel anfangen können, er bezieht sich auf Romane, die durch das Einschreiben von popkulturellen Phänomenen oder Marken Authentizitätseffekte ziehen. Man findet also in diesen Büchern unter anderem Songtexte oder das explizite Nennen von Modemarken.
Auf der Suche nach der eigenen Zukunft
Esther Schüttpelz präsentiert uns eine Ich-Erzählerin, die sich mit Mitte 20 in einer Lebenskrise befindet. Sie hat mitten in ihrem Studium geheiratet und muss nach nur einem Jahr die Trennung verarbeiten. Wir begleiten die junge Frau somit durch die Phasen der Verarbeitung ihrer gescheiterten Beziehung. Dieses Ereignis hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Nun versucht sie ihr eigenes Leben wieder zu ordnen und gleichzeitig ihr Jurareferendariat zu beenden.
Sicherlich ist die Story hinter dem Roman nichts aufregend Neues. Trotzdem ist aus meiner Sicht ein schöner Roman gelungen, den ich gerne gelesen habe. Die Hauptfigur ist in ihrem Leben etwas verloren. Ein Gefühl, dass ich vor meinem beruflichen Wechsel auch verspürte und mich deshalb noch gut erinnere. Es gibt deshalb einfach Tage, an denen man gegen die eigene Melancholie, Antriebslosigkeit und Enttäuschung ankämpfen muss. Die Protagonistin changiert zwischen angedeuteter Wut auf sich selbst und dem Gefühl, dass die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, auch wenn nicht das Ergebnis eintrat.
Und stehe wieder auf. Es ist ein neuer Tag. Er ist bereit für neue Sachen und vielleicht reißt er mich ja mit.
Schüttpelz, Esther: Ohne mich, 2023, Diogenes Verlag, S.50.
Mit hohem Reflexionsgrad denkt die Figur darüber nach, warum sie so früh geheiratet hat und warum die Liebe so schnell verflogen ist. Gleichzeitig hadert sie mit der Entwicklung, ist diese doch Bestätigung für all die mahnenden Worte, die man zuvor aus dem persönlichen Umfeld erhalten hat. Dies schildert Schüttpelz pointiert und diese Erlebnisse kann jeder aus den eigenen Erfahrungen sofort mitfühlen. Es läuft nicht immer alles nach Plan, auch wenn man sich dies gerne wünscht. Schüttpelz schafft eine junge Frau, die natürlich unter ihren Erlebnissen leidet, sich aber selbstbewusst gibt und das Vertrauen hat, sich selbst aus dieser Situation zu befreien. Der erzählerische Tonfall erinnert mich durchaus an Christian Kracht oder Benjamin von Stuckrad-Barre. Kluge und mutige gesellschaftliche Beobachtungen durchziehen den Text, bringen gleichzeitig einen hohen Grad an Zynismus zutage. Letztere ist die Antwort der Protagonistin auf ihre eigene innere Zerrissenheit. Der Blick auf das gesellschaftlich Andere kann die eigene Situation nämlich durchaus aufwerten. Schüttpelz lässt den Gefühlen freien Lauf, engt ihre Erzählerin im Denken nicht ein und genau diesen Erzählsound empfinde ich als erfrischend. Hier wird uns keine junge Frau präsentiert, die sich mit ihrem Frausein versteckt, aber auch keine junge Frau, die nur aus einer Position mangelnder Gerechtigkeit spricht. Natürlich hadert die Figur, wirkt in vielen Szenen chaotisch, aber nie hilflos, sondern immer forsch nach vorn blickend.
„Ich stelle mir vor, wie jemand die mute-Taste drückt, nicht die von den Boxen, sondern die von der Welt, eine gemutete Welt, Unterwasserstille, und dazu das Bild von uns, wie wir hier brüllen und ALLES geben […].“
Schüttpelz, Esther: Ohne mich, 2023, Diogenes Verlag, S.101.
Wunderbar ist zudem, dass sich die Erzählerin auch mal fallen lässt. Nicht auf alle Fragen findet sich sofort eine Antwort, man darf sich auch einfach mal gedankenlos in eine Bar begeben. Passend zu meinem Eindruck, dass der Sound durchaus an Kracht und Co. erinnert, finden sich im Text immer wieder eingearbeitete Songzeilen. Diese haben nicht nur die Funktion, als Authentizitätseffekt zu fungieren, sondern stellen auch Bezüge zur Identität der Protagonistin her. Ihre Gedanken, wie man in bestimmten Situationen vielleicht besser reagieren würde, oder wenn sie sich Ruhe erträumt, sprühen vor Witz und lassen mich das ein oder andere Mal schmunzeln. Hier steht jemand vor uns, der weiß, dass er nicht perfekt ist, dies aber nicht bedauert und sich selbst nicht zu ernst nimmt. Man genießt auch deshalb diese flüssig zu lesende Lektüre.
Fazit
Dieser Roman war ein guter Griff und ich habe das Buch äußerst gerne gelesen. Es erinnert mich durchaus in seiner Stilistik an die Granden der Deutschen Popliteratur und doch finde ich, dass Schüttpelz mit eigenem Sound wahrnehmbar ist. Mir gefällt, wie reflektierend die junge Frau auf das eigene Leben blickt und durchaus die Botschaft überbringt, sich nicht in ein gesellschaftliches Korsett pressen zu lassen. Mit Mut versucht sich die Protagonistin aus ihrer Situation zu befreien. Scheitern ist hier keine große Tragik, sondern gehört zum Leben dazu. Ein Buch für die eigene Aufmunterung, schön zu lesen und unterhaltsam.
Werbung aus Liebe zum Buch
Wertung: 🐧🐧🐧🐧
Esther Schüttpelz: Ohne mich
ISBN: 978-3-257-07233-4 https://www.diogenes.ch/leser/titel/esther-schuettpelz/ohne-mich-9783257072334.html