Meyer, Clemens: Die Projektoren

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Auf der Leseliste, weil Clemens Meyer dieses Buchprojekt schon vor Jahren während einer Leipziger Lesenacht angedeutet hat. Mich konnte er damit aufgrund des Bezuges zu Karl May schnell für sich gewinnen.

Darum geht’s:

Der Roman stellt die Gegend des kroatischen Velebit-Gebirges in den Mittelpunkt der geschilderten Handlungen. Clemens Meyer schildert die Kriegs- und Gewalterfahrungen, welche die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Gegend erlebten, und kombiniert dies mit einem zunächst abstrus wirkenden Handlungsstrang in einer Leipziger Heilanstalt. Doch in dieser Anstalt wird das Grundprinzip des Romans reflektiert, denn dort wird ein Dr. May behandelt, der sich als Geschichtenerzähler inszeniert und behauptet, die ganze Welt bereist zu haben. Meyer vernetzt Popkultur mit Gewalterfahrungen und reflektiert fiktionales Erzählen und das Verhältnis zu realen Geschehnissen. Deshalb werden die Verfilmungen von Karl May Romanen in Kroatien zu einem verbindenden Element für die erzählte Geschichte.



>> Du sagst immer, ein langer Film ist wie ein Roman aufgebaut und ein kurzer wie eine  … Kurzgeschichte.<<

>>Umgekehrt, mein Sohn,  das ist ja das Paradoxe. Der Roman wie ihn die Moderne versteht, ist ein Monolith, ein Chaos aus Stimmen …<<

Meyer, Clemens: Die Projektoren 2024, S. Fischer Verlag, S.137.

Bewertung: 

Dieser Roman ist wirklich ein literarisches Ereignis und feiert die Kraft und Sogwirkung von fiktionalem Erzählen. Das Buch erzählt mit großem Aufwand, hat an vielen Stellen literarische Reminiszenzen, die von Karl May über die Gebrüder Grimm bis hin zu Wolfgang Hilbig reichen. Meyer kennt den literarischen Kosmos, der sein eigenes Schaffen prägt, und erweist sich als ästhetisch versiert. Ausgangspunkt seines Buches, so erklärt der Autor bei einer Lesung im Frankfurter Literaturhaus, war eine Reise durch Kroatien. Erst bei dieser offenbarte sich Meyer, dass die Karl May Filme an Orten mit einer bewegten Geschichte gedreht wurden. Es scheint fast absurd, dass Geschichten, die kriegerische Konflikte mit einem naiv wirkenden Friedensverständnis verknüpfen, an solchen Orten gedreht wurden. Für Meyer ist sein Roman eine für unsere Welt typische Erzählung. Grund hierfür ist, dass Meyer unsere Welt für eine des Krieges hält. Über Kriege ist jedoch literarisch und ästhetisch schon auf fast alle denkbaren Arten und Weisen erzählt worden, deshalb ist für Meyer seine Geschichte nur in der Form eines Montageromans denkbar gewesen. Reale Orte werden in diesem Buch in ein spannendes fiktionales Paralleluniversum überführt. Zeitsprünge und Brüche durchziehen den Text. Dr. May ist zwar nicht mit Karl May gleichzusetzen, und doch sind die Verbindungen klar erkennbar, und stilistisch zitiert Mayer den bekannten deutschen Autor ebenfalls und greift dessen Hochstapler-Autofiktion auf. Meyer spielt mit Fakt und Fiktion. Wir erleben eine Figur namens LEX, die natürlich der große Schauspieler sein könnte, eine andere Figur wird der Cowboy genannt und war als Komparse bei den Verfilmungen tätig. Die Filmwelt spielt mit den technisch benötigten Projektoren eine Rolle, mit ihnen werden fiktive Welten lebendig. Doch die Figuren des Romans sind ebenfalls Projektoren und fiktionalisieren die eigenen Welterfahrungen. Mays Romane und seine Verfilmungen gehen naiv mit Krieg und Frieden um und dies an konfliktreichen Orten und mit zwei Hauptdarstellern, die vorher als Soldaten Kriegseinsätze erlebten. Es sind solche Fakten, welche immer wieder überraschen und zugleich jedweden realen Boden entzogen bekommen, in dem Meyer sie mit seiner Erzählung verbindet. Geschichtenerzählen ist in diesem Roman das zentrale Element und damit ist dieses Buch ein wunderbarer Beitrag auf meinem Blog. Meyer betont die Wichtigkeit für Identitätsstiftung und das Schaffen von Gemeinschaftszugehörigkeit.

Besonders in Erinnerung bleibt mir die Figur des Fragmentaristen. Seine Assoziationen betonen verschiedene Perspektiven auf gleiche Themen und zeigen auf, wie verschieden Menschen Realität empfinden können. Meyer verknüpft unterschiedlichste Aspekte. Er zeigt Kino und Fiktion als Flucht- und Sehnsuchtsort. Sicherlich ist der Roman mit seinen vielen Abzweigungen nicht immer leicht zugänglich. Der Autor weiß darum, betont bei der Lesung aber gemeinsam mit dem Redakteur Andreas Platthaus, dass Literatur auch herausfordern darf. Es sind genau solche Texte, die man als ambitionierte literarische Projekte deutscher Gegenwartsliteratur bezeichnen darf. Ich möchte mich damit gar nicht in die Debatten um den Deutschen Buchpreis einschalten, halte den Wirbel für überzogen. Festhalten möchte ich aber, dass man dieses Buch wirklich stilistisch großartig einstufen muss. Clemens Meyer hat einen starken Roman geschrieben, welcher der Schilderung von Gewalterfahrungen die Schönheit der Sprache entgegensetzt. Zudem beweist der Roman eine wunderbare Portion Humor.

Mein Lieblingsmoment:

Ich muss hier ganz klar die Abschnitte nennen, in denen Meyer die Autoren von Westerngroschenromanen behandelt. Hier ist aber klar zu sagen, dass dies vor allem für mich persönlich eine Freude ist, da ich diese schon in meiner Jugend gelesen habe. Ich kenne somit die Autoren und ihre Pseudonyme und die literarische Qualität dieser Hefte.

Fazit:

Dieses Buch ist eine großartige Erzählkunst. Mit der Grundidee des Romans kann mich Meyer schon überzeugen, und es hat unglaublich viel Spaß gemacht, über dieses Buch nachzudenken. Popkultur auf diese Art und Weise mit realen Gewalterfahrungen zu kombinieren, wirkt zunächst abwegig, aber Meyer schildert dies so, dass man es für eine logische Verknüpfung hält. Popkultur ist Sehnsuchtsort und zugleich eine Art der Verarbeitung von Gewalterlebnissen. Natürlich ist dies Buch eine Herausforderung und nicht immer leicht zugänglich, aber es gewinnt mit jedem Nachdenken über das Gelesene und offenbart immer wieder neue Deutungsweisen und ist damit ein literarisches Fest.

Autor:Inneninformation

Clemens Meyer, geboren 1977 in Halle / Saale, lebt in Leipzig. 2006 erschien sein Debütroman „Als wir träumten“. Für sein Werk erhielt Clemens Meyer zahlreiche Preise, darunter den Preis der Leipziger Buchmesse. »Im Stein« stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, wurde mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet. Sein Roman »Die Projektoren« wurde mit dem Bayerischen Buchpreis 2024 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2024. 

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Wertung: 🐧🐧🐧🐧🐧

Titel: Die Projektoren

ISBN: 978-3-10-002246-2

https://www.fischerverlage.de/buch/clemens-meyer-die-projektoren-9783100022462

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