Daniel Kehlmann ist einer der begabtesten Schriftsteller unserer Gegenwart, auch wenn ich mich mit seinen ästhetisch-theoretischen Schriften und Aussagen nicht immer identifizieren kann. Kehlmann ist ein Meister seines Fachs und kann mich mit seinen Büchern immer wieder begeistern. Sein Buch „Lichtspiel“ hat er auf der vergangenen Buchmesse vorgestellt und thematisch mein Interesse geweckt. Der Roman behandelt das Leben des bekannten österreichischen Filmregisseurs G.W. Pabst.
„Sie verkennen die Lage. Ich diskutiere nicht. Wenn sie nur die geringste Idee hätten, was Ihnen blühen kann, würden Sie es nicht mal versuchen. Es ist, wie es ist, und wie es ist, sage ich […].“
Kehlmann, Daniel: Lichtspiel, 2023, Rowohlt Verlag, S.211.
Daniel Kehlmann orientiert sich an den Lebensdaten des berühmten Künstlers, hat aus diesen aber einen fiktionalen Roman gemacht und sich damit Antworten auf mögliche offene Fragen der Lebensgeschichte gegeben. Der Roman zeigt zunächst auf, wie Pabst Anfang der 30er-Jahre versucht, in Hollywood zu arbeiten und feststellen muss, dass sein Ruhm aus Europa nicht bis dorthin strahlt. Er bekommt nur mittelmäßige Angebote und die Vorstellungen der Filmkunst sind unterschiedlich. Um sich als Künstler wieder wohler zu fühlen, strebt Pabst die Rückreise nach Europa an. Zunächst hält er sich in Frankreich auf, doch bei einem Heimatbesuch in Österreich wird er vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht. Die Grenzen werden dichtgemacht und Pabst damit zu einem Bewohner des Nazireiches. Nun erleben wir, wie der berühmte Regisseur in die Strukturen der Diktatur hineingezogen wird. Die Nationalsozialisten möchten den Mann, der Greta Garbo entdeckt hat, unbedingt für ihre Kunstpropaganda gewinnen. Andere Künstler:Innen werben dafür, dass sich Pabst mit dem Regime arrangiert und dadurch wieder künstlerisch tätig wird. Nicht allzu schlimm werden die Kompromisse bewertet, die man dafür machen muss. Pabst merkt, dass die Nationalsozialisten kein Verständnis von seinem Schaffen haben und die große Kunst schwer zu erreichen ist, doch er möchte arbeiten und lässt sich deshalb auf vorgeschlagene Projekte ein. Diese möchte er jedoch mit der für ihn notwendigen Perfektion bearbeiten und so werden die Dreharbeiten zum Film „Fall Molander“ zum Mittelpunkt des Romans und zeigen seine von Besessenheit geprägte Arbeitsweise. Dieser Film ist real unvollendet geblieben und der Roman greift dies tatsächlich auf, in dem der Film zwar vollendet wird, aber trotzdem verschwindet und damit nie das Licht der Welt erblickt. Pabst zerbricht daran, dass dieses persönliche Meisterwerk nicht gezeigt werden kann. Kehlmann arbeitet in den Dreharbeiten zudem noch ein weiteres Ereignis ein, das nicht historisch bestätigt werden kann. Er nimmt für dieses Ereignis jedoch Anleihen bei anderen Beispielen und so wird Pabst in seinem Roman zu einem Mitläufer, der gewisse Aspekte des Grauens für seine künstlerische Arbeit akzeptiert. Genaueres erfährt man beim Lesen, doch ist die Art, wie Kehlmann zeigt, dass man zwischen Mitläufertum und etwas mehr durchaus wandeln kann, wunderbar gemacht. Überhaupt zeigt Kehlmann in diesem Roman erneut, dass er gut mit historischen Stoffen arbeiten kann.
Der Roman geht der Frage nach, wie ein angesehener Künstler seine Moralvorstellungen vergessen kann und sich zu einem Mitläufer wandelt, der auch bereit ist, regimekonforme Kunst herzustellen. Pabst wird kein Propagandafilmer, aber er lässt sich immer mehr auf die NS-Kunstideologen ein und akzeptiert deren Vorschläge. Der dabei ausgetragene Kampf zwischen dem eigenen Anspruch und dem Wunsch, vor allem weiterarbeiten zu dürfen, ist anschaulich dargestellt. Die Dialoge mit weiteren Kunstschaffenden zeigen auf, wie schnell auch manch einer die gesellschaftliche Situation hinter das eigene Wohl stellt. Mit diesen Beobachtungen ist der Roman nicht nur historisch, sondern kann für sich eine hohe Aktualität verbuchen. Der Roman ist auch in seinen Schilderungen große Kunst. Man folgt dem Blick des filmschaffenden Künstlers, der alles wie durch eine Filmkamera zu beobachten scheint. Die Figurendialoge geben jeder Figur ihren eigenen Tonfall und die Stränge des Romans bleiben immer fest in einer Hand, auch wenn es aus meiner Sicht den ein oder anderen Konstruktionskniff nicht gebraucht hätte. Kunst wird in dieser Zeit als immer im Widerstreit der Geschehnisse stehend offenbart und dies ist eine tolle Leistung des Autors.
Fazit
Daniel Kehlmann ist erneut ein tolles Stück deutschsprachige Literatur gelungen. Die Darstellung der Filmkunst dieser Zeit gelingt ihm mitreißend und die Präsentation der Verstrickung eines Künstlers in das NS-Regime ist großartig aufbereitet. Der Roman moralisiert nicht, sondern stellt eine Figur in den Mittelpunkt, die zwar mit sich hadert, sich aber nicht in eine existenzbedrohende Situation geben möchte. Sprachlich ist Kehlmann ebenfalls wieder auf hohem und kunstfertigen Niveau unterwegs. Ich kann dieses Buch wieder ohne Bedenken zum Lesen empfehlen.
Autor:Inneninformation
Daniel Kehlmann (1975) stammt aus einer Schauspiel- und Theaterfamilie. Geboren in München, lebte er auch lange Zeit in Wien, heute in Berlin. Er studierte Philosophie und Germanistik. Mit seinem Roman „Ich und Kaminski“ wurde er einem internationalen Publikum 2003 bekannt. 2005 folgte mit „Die Vermessung der Welt“ eines der erfolgreichsten Bücher deutscher Autoren in der Nachkriegsgeschichte. Der Roman wurde zudem verfilmt.
Werbung aus Liebe zum Buch
Wertung: 🐧🐧🐧🐧
Titel: Lichtspiel
ISBN: 978-3-498-00387-6
https://www.rowohlt.de/buch/daniel-kehlmann-lichtspiel-9783498003876