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Auf den Titel, den ich heute in meinem Longlist Leseprojekt vorstelle, habe ich mich vorab gefreut. Es geht um „Monde vor der Landung“ von Clemens J. Setz aus dem Suhrkamp Verlag. Setz begleitet mich mit seinen Werken seit meinem Germanistikstudium. Während dieser Zeit habe ich mich schon einmal privat mit seinem Buch „Die Frequenzen“ auseinandergesetzt. In diesem Roman hatte mich die Textgestaltung beeindruckt und wie Setz seine Geschichte in besonderer ästhetischer Weise präsentiert hat. Sicherlich werde ich mich diesem Autor auch abermals in einem Leseprojekt widmen.
In seinem Roman nimmt er sich eine historische Person und entfaltet ihre Biografie. Peter Bender war überzeugter Utopist und Anhänger der Hohlwelt-Theorie. Für ihn ist die Erde eine Kugel, wir leben auf einer schmalen Außenseite. Die Erde selbst ist nämlich hohl und wir können in sie schauen und dort die Sterne bewundern. Der hohle Erdmond entwickelte sich aus anderen Monden, die auf ihm gelandet sind. Diese Theorie fußt auf den Überlegungen des Amerikaners Cyrus Teed, genannt Koresh. Die Theorie verbreitete sich in kleinen Sekten, und Peter Bender sah sich als einen Verwalter einer solchen Gemeinschaft. Ganz schön verrückt, wird man mit dem heutigen Blick sagen, doch der Roman stellt Bender nicht nur als irrsinnigen Spinner aus.
„Stell dir vor: sich dagegen zu wehren, dass Worms die Stadt der Menschheit wurde! Gegen die Menschheit zu sein! Dass die sich nicht schämten. Jaja, sie wollten am liebsten alles frei von Menschheit haben. Und ja, beim Universum hatten sie das auch geschafft, da lernte jedes Kind schon in der Schule, dass das da oben alles bloß aus Kugeln bestand, aus Wärme und Kälte und Schwärze und Kugeln Kugeln Kugeln, sonst nichts, nichts Menschliches, nur lauter in unergründlichen Kräftewirkungen einander für immer verfallene Riesenkörper, das Gegenteil von Menschlichkeit.“
Setz, Clemens J.: Monde vor der Landung, 2023, Suhrkamp Verlag, S.43.
Bender lebte von 1893 bis 1944 und verbreitete seine Theorien in Worms. Erweckendes Erlebnis für den Glauben an die Theorie ist seine Zeit als Pilot im Ersten Weltkrieg. Hier zeigt sich schon die Widersprüchlichkeit seines Denkens, da er als Pilot den besten Blick auf die unter ihm liegende Erde hatte. Seine Weltvorstellungen in einen Roman zu packen, ist zugleich die einzige Möglichkeit, sich ihm biografisch zu nähern, ohne ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Für die fantastisch anmutende Hohlwelt-Theorie bietet die Literatur die angemessenen Mittel. Mit seiner in Worms gegründeten „Menschheitsgesellschaft“ möchte er seine Weltvorstellungen verbreiten und verbindet sie mit einer religiös anmutenden Vorstellung einer besseren Gesellschaft mit einem von Frieden geprägten Zusammenleben. Bender ist ein Außenseiter, seine Vorträge führen immer wieder dazu, dass er mit den Ordnungsbehörden in Kontakt gerät. Sogar medizinische Gutachten werden angefertigt und Bender wird in Nervenheilanstalten eingewiesen. Er kann mit seinen Tätigkeiten den Lebensunterhalt seiner Familie nicht bestreiten, dies regelt seine Frau Charlotte mit einer Tätigkeit als Hauslehrerin. Zudem gibt es immer wieder Unterstützung durch die Eltern. Bender erkennt diese finanziellen Aspekte, doch schöpft immer wieder Hoffnung, mit seinen Vorträgen endlich Beachtung zu finden. Setz gelingt es, diese Figur in ihrem Wahn nachvollziehbar zu schildern. Man entwickelt beim Lesen auch kein Mitleid, sondern blickt gebannt darauf, wie sich Bender immer weiter verstrickt. Sympathisch wird er jedoch ebenfalls nie. Er pflegt eine Affäre, scheint die eigene Familie meist nur distanziert wahrzunehmen. In seltenen Momenten blitzt Zuneigung zu seiner Frau auf. Umso ambivalenter sind seine gesellschaftlichen Vorstellungen einer gleichberechtigten Welt. Charlotte ist in ihrer Hingabe und der Bereitschaft, sich für die Sache ihres Mannes zu opfern, eine tragische Figur.
„Wenn ich auch zu selbständig in meinem Denken bin, um alles rückhaltlos und kritiklos hinzunehmen, so stehe ich doch weltanschaulich auf seinem Standpunkt.“
Setz, Clemens J.: Monde vor der Landung, 2023, Suhrkamp Verlag, S.367.
Setz nutzt historisch belegte Briefe und integriert diese teilweise als Faksimile in den Text. Damit wird der Effekt der recherchierenden Biografie verstärkt.
Der Autor verweigert sich klaren Verweisen auf Parallelen in unsere heutige Gesellschaft. Bender wird nicht zur Parallelfigur heutiger Querdenker:Innen, allerdings erkennt man in seiner Biografie, wie sich Menschen in solchen Theorien verlieren können. Sprachlich ist der Roman fein gewoben, pointiert Szenen und hat an einigen Stellen einen wunderbaren Humor zu bieten. Schlussendlich steuert der Roman aber auf ein tragisches Schicksal seiner Figuren zu. Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wird zum Problem. Charlotte ist Jüdin und einer Flucht ins Ausland stehen die Pläne ihres Mannes entgegen. Peter Bender muss erkennen, dass er sich mit seinen Vorstellungen in dieser neuen gesellschaftlichen Ideologie ebenfalls nicht finden wird. Tragisch ist daran, dass er die Konsequenzen nicht zu erfassen scheint und so endet das Leben des Peter Bender im KZ in Mauthausen, während Charlotte nach Auschwitz deportiert wird. Auch dies darf Mahnung an heutige Personen sein, die glauben, in ihren Denkvorstellungen Heimat bei den politischen Rechten zu finden.
Fazit
Dieser Roman ist kein Buch, das man wegen des Reizes der Geschichte liest. Es erfordert, dass man sich auf die geschilderte Welt einlässt, die sich komplett auf Bender fokussiert. Mir gefällt am Text die sprachliche Ausgestaltung und dass man dieser Figur gebannt folgt. Allerdings hat der Roman einige Stellen, die mir zu langatmig wirken. Man merkt die umfassende Recherchearbeit, die jedoch zulasten des Leseflusses geht. Insgesamt ist dies aber wieder ein gutes Werk aus der Feder eines der spannenden Autoren unserer Deutschen Gegenwartsliteratur.
Werbung aus Liebe zum Buch
Wertung: 🐧🐧🐧🐧
Clemens J. Setz: Monde vor der Landung
ISBN: 978-3-518-43109-2https://www.suhrkamp.de/buch/clemens-j-setz-monde-vor-der-landung-t-9783518431092