Fallwickl, Mareike: Und alle so still

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Mareike Fallwickl ist für mich seit ihrem aus meiner Sicht überragenden Roman „Die Wut, die bleibt“ eine der besten und spannendsten Autor:Innen der Gegenwart. Somit war für mich klar, dass ich mich auch ihrem neuen Roman „Und alle so still“, erschienen im Rowohlt Verlag, widmen würde. Zudem hat sie mit diesem Buch Station in Darmstadt in der Centralstation gemacht. An diesem Abend hat sie jedoch nicht nur ihr Buch vorgestellt, sondern ihre Performance auch mit Forderungen und Statistiken unterstützt. Für Männer kann der leicht anklagende Ton durchaus etwas störend wirken, aber die Grundforderungen im Hinblick auf Carearbeit bringt sie nachvollziehbar zur Geltung.

Während der Vorgängerroman aufgezeigte, wie die Belastung durch Carearbeit zu einem Suizid führte, wird in diesem Buch allen vor Augen geführt, was passiert, wenn Frauen diese Arbeit nicht mehr erledigen.

„<< Für mich waren sie das>>, stimmte Giovanna zu, <<das ganze System beruht auf unserer Verfügbarkeit. Unserer Körper, unserer Kraft, unserer Zeit. Diese Verfügbarkeit zu entziehen, ist die einzige Möglichkeit, die uns noch bleibt.>> “



Fallwickl, Mareike: Und alle so still, 2024, Rowohlt Verlag, S.175.

In diesem Buch gehen die Frauen in einen Streik und verweigern sich ihren Diensten an der Gesellschaft. Dadurch offenbaren sie ihre Bedeutung für das System, welches sie über Jahre ausgebeutet hat. Im Krankenhaus muss der junge Mann Nuri erkennen, dass dies dazu führt, dass eben niemand mehr gepflegt wird. Nuri ist ein prekär Beschäftigter und sein Dienst im Krankenhaus als „Bettenschubser“ ist nur einer von drei Jobs. Er wird im Roman ebenfalls als Systemopfer, aufgewachsen in einer armen Migrantenfamilie, dargestellt. Ebenfalls im Krankenhaus beschäftigt ist die fünfzigjährige Ruth. Sie hat zunächst ihren behinderten Sohn gepflegt und arbeitet sich nun durch den überlasteten Schichtdienst.

Diesen beiden gegenübersetzt Fallwickl in ihrem Roman die Influencerin Elin. Diese hat zwar viele Follower:Innen, fühlt sich jedoch innerlich leer. Sie lebt im Wellness-Hotel ihrer Mutter und sucht in diesem schnellen Sex mit Hotelgästen. Sie repräsentiert damit einen weiteren Aspekt in der Benachteiligung von Frauen, vielmehr zeigt sie den Glauben an die stetige Verfügbarkeit bei Frauen, in diesem Falle körperlich und sexueller Natur. Die drei Figuren stehen, so different sie sind, für Menschen, die innerhalb unseres Systems an ihre Grenzen geraten. Fallwickl gelingt es in dieser Hinsicht gut, die Lebenswelten ihrer drei Protagonist:Innen abzubilden. Wie schon in ihrem letzten Roman beweist sie ein gutes Gefühl für ihre Figuren und die Lebenswelten wirken nachvollziehbar. Für mich ist allerdings die Figurenkombination mit Elin etwas gewöhnungsbedürftig gewesen. Die Perspektiven von Ruth und Nuri haben mir persönlich deutlich besser gefallen. Genau genommen handelt es sich beim Protest der Frauen in Form des „sich auf die Straße legen“ um den symbolischen Ausdruck der Erschöpfung durch Carearbeit. Der Roman führt deutlich vor Augen, welche Bedeutung Frauen als Arbeitnehmerinnen in unserer Gesellschaft haben. Durch die Perspektive von Nuri erweitert Fallwickl ihre Gesellschaftskritik und offenbart das kapitalistische System als Ursprung der schlechten Wertschätzung von Carearbeit in unserer Gesellschaft. Aus meiner Sicht erschöpft sich der Roman jedoch etwas in diesem symbolischen Protest und hätte den Protestierenden mehr Raum geben können. Interessant wäre gewesen, das Momentum der Entscheidung für den Protest mit allen Zweifeln besser herauszuarbeiten und der Frage nachzugehen: Warum gerade jetzt die Entscheidung für den Protest?

Trotzdem ist es wieder ein gelungener Roman; Fallwickl zeigt ihr Gefühl für die geschaffenen Figuren und versetzt ihre Leserschaft durch gelungene emotionale Darstellungen ins Buch. Auf diesem Weg gelingt ihr, dass man Gesellschaftskritik direkt sieht und mit dem Gefühl das Buch beendet, dass sich hier etwas ändern muss.

Fazit

Mareike Fallwickl beweist in diesem Roman erneut, welch tolle Autorin sie ist. Die Idee der stillen Revolution, die zugleich offenbart, dass Carearbeit ein wesentlicher Faktor für unsere Gesellschaft ist und ein breit angelegter Protest uns ins Chaos stürzt, ist äußerst gelungen. Positiv ist die Perspektive von Nuri, welche die Gesellschaftskritik nicht nur auf das Patriarchat ausrichtet, sondern zudem das kapitalistische System anprangert. Der Roman hat seine Schwächen in der Perspektive der Influencerin, deren Raum vielleicht besser noch den Protestierenden gegeben worden wäre. Insgesamt ist dieser Roman etwas schwächer als das Vorgängerbuch von Fallwickl, aber immer noch äußerst lesenswert und ein wichtiger Roman.

Autor:Inneninformation

Mareike Fallwickl (geb. 1983) lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Hof/Österreich. Sie ist studierte Sprachwissenschaftlerin und betreibt seit 2009 einen erfolgreichen Literaturblog. „Und alle so still“ ist ihr fünfter Roman. Für ihren zweiten Roman „Dunkelgrün fast schwarz“ war sie für den Österreichischen Buchpreis nominiert, für ihren 2022 veröffentlichten Roman „Die Wut, die bleibt“ für die Shortlist des Deutschen Buchpreises.

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Wertung: 🐧🐧🐧🐧

Titel: Und alle so still

ISBN: 978-3-498-00298-5

https://www.rowohlt.de/buch/mareike-fallwickl-und-alle-so-still-9783498002985

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