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Setzen wir das Leseprojekt fort und widmen wir uns dem nächsten Nominierten des Deutschen Buchpreises. Lucas Kieser war mit seinem Debütroman „Weil da war etwas im Wasser“, erschienen im Picus Verlag nominiert. Von all den Nominierten bietet dieser Roman aus ästhetischer Sicht sicherlich den gewagtesten Ansatz. In den vergangenen Jahren gab es immer mal wieder Titel, welche sich dem Oktopus als Meeresbewohner näherten. Allerdings geschah dies aus naturwissenschaftlicher Sicht. Luca Kieser macht einen Riesenkalmar mit seinen Armen nun zur Erzählstimme seines Romans. Präziser gesagt, sind die Arme des Kalmars eine Multiperspektive-Erzählstimme. Ausgangspunkt ist, dass der Kalmar mit einem Tiefseekabel in Kontakt gerät und dabei einen elektronischen Schlag erhält. Dies nehmen die Arme zum Anlass, Geschichte ihrer Erlebnisse zu berichten. Sie scheinen dadurch mit dem Internet in Kontakt geraten zu sein, da sie viel Input verarbeiten. Dabei erhält jeder Arm einen Namen, der auch sogleich einen Charakter- oder Wesenszug des Armes benennt. Jedoch lassen die Arme sich untereinander nicht den Erzählraum, sondern mischen sich in die Erzählungen ein, werben sogar für die eigene Geschichte. Kieser nutzt für diese Einmischungen munter die Fußnoten. Gekoppelt wird die Kalmarerzählung mit Tagebucheinträgen der Studentin Sanja, die auf einem Frosttrawler reist.
Auf diese Weise entfaltet der Roman ziemlich viele Handlungsstränge, die auch nicht direkt miteinander verwoben zu sein scheinen. Der Kalmar erweist sich mit all seinen Nervenzellen dabei als aufmerksamer Beobachter, der uns zudem versucht komplexe Sachverhalte zu schildern. Dazu muss man vorweg stellen, dass dieser Roman schnell deutlich macht, dass er keine eindeutige Erzählung liefern möchte. Stattdessen ist das Buch mit seiner Erzählhaltung eine Einladung, sich auf neue Perspektiven einzulassen. Sein Roman verwebt Mythen rund um den Tiefseebewohner, beschäftigt sich mit den umweltschädlichen Auswirkungen des Krillfangs und nutzt seine Perspektivwechsel für die Behandlung von Natur- und Umweltschutz. Für mich ist sein Roman genau dann stark, weil der Perspektivwechsel den Blick auf all die umweltschädlichen Handlungen menschlicher Zivilisation schärft.
„Weil da ist etwas im Wasser.
Ein Wesen, das immerzu in Finsternis lebt. Das mit jedem Atemzug die Schwärze einsaugt und wieder aus sich herausdrückt. Das sie auf diese Weise überwindet. Sie durchdringt – stellen wir uns ein Leben vor, das aus nichts besteht als alter Nacht.“
Kieser, Luca: Weil da war etwas im Wasser, 2023, Picus Verlag, S.10.
Die Arme zeigen mit ihrer Erzählung auf, welche Auswirkungen die Eingriffe der menschlichen Zivilisation auf Mensch und Umwelt haben. Die Arme erweisen sich bei ihren Erzählungen zudem als wissenschaftlich versiert. Indem der Roman noch den Erzählstrang um Sanja beleuchtet, kann er in dieser Figur aufzeigen, wie verschiedene menschliche Handlungen zusammenhängen und die Natur bedrohen können. Zugleich dient Sanja als Figur, in der die Möglichkeit besteht, menschliche Zweifel am eigenen Verhalten aufzuzeigen. Die Komplexität der Erzählung ist für die Leserschaft allerdings eine große Herausforderung. Der Roman beinhaltet neben den Sprüngen zwischen den verschiedenen Perspektiven auch noch Zeitsprünge. Insgesamt überdreht Kieser diese Komplexität an einigen Stellen und nimmt dem Roman damit seinen Lesefluss.
Luca Kieser zeigt auf, wie man über ein Tier schreiben kann, über das man eigentlich zu wenig wissen muss. Literatur wird in seinem Roman zur Imaginationskraft für andersartige Erfahrungen. Zudem finden sich im Roman allerlei literarische Anspielungen zu Titeln, die sich mit Meeresbewohner:Innen beschäftigen, zu nennen sind als Beispiele Herman Melville und Jules Verne. Somit ist dieser Roman ein ästhetisch anspruchsvolles Werk, dass bei seiner Erzählung viele Möglichkeiten von Literatur austestet. Allerdings ist dies auch die Last des Romans, der bei vielen Leser:Innen ein Abschalten in Gang setzen könnte.
Fazit
Luca Kiesers Roman ist das gewagteste ästhetische Experiment der Longlist und hat es angesichts dessen verdient, auf der Liste zu stehen. Mir hat der Roman zu Beginn ausgezeichnet gefallen, allerdings trägt die komplexe Struktur nicht über den gesamten Text. Stärke des Buches ist auf jeden Fall die gelungene Intertextualität und der Perspektivwechsel bezüglich von Natur- und Umweltschutz. Damit bereichert Kieser die deutschsprachige Literaturlandschaft, und wer sich gerne auf ästhetische Experimente einlässt, sollte zu diesem Buch greifen.
Werbung aus Liebe zum Buch
Wertung: 🐧🐧🐧
Luca Kieser: Weil da war etwas im Wasser
ISBN: 978-3-7117-2137-2