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Der heutige Longlist Titel ist in vielerlei Hinsicht ein Exot. Zum einen ist das Werk im Indiebuchverlag Voland und Quist erschienen und zum anderen entführt es uns in eine Welt, die weit von unserer entfernt scheint. Ich stelle heute das Buch „Birobidschan“ von Tomer Dotan Dreyfus vor. Dieser Roman nimmt sich einen real existierenden Ort als Grundlage, um uns dann in eine Welt zu entführen, die viel über das Zusammenleben in Gemeinschaften verrät. Die Gemeinschaft ist zudem geprägt von jüdischer Kultur, Stalin hatte das sibirische Dorf einst zum jüdischen Lebensraum erklären lassen. Doch in diesem Buch geht es nicht um historische Verwicklungen, sondern Dreyfus stellt uns verschiedene Dorfbewohner:Innen vor und zeigt an ihnen auf, über welche Faktoren des Zusammenlebens diese nachdenken und wie sie sich in einer Gemeinschaft zurecht finden, deren Kontakt in andere Gegenden begrenzt ist.
Zu nennen sei hier zum einen Boris, der älteste noch lebende Dorfbewohner, der in seinem Leben sogar unsichtbare Mädchen gesehen hat. Oder wir sprechen über den Waisenjungen Dmitri, oder auch über das Liebespaar Rachel und Alex. Dreyfus hat eine breite Figurenpalette, die auf ihre jeweils eigene Art das Dorf symbolisieren und zugleich reflektieren.
„Rachel war sich schon immer wie ein Fremdkörper vorgekommen, im Sinne von örtlich, also in Birobidschan deplatziert. Jetzt wurde ihr jedoch bewusst, dass es bei ihrem Deplatzierungsgefühl nicht um den Ort ging, sondern um die Zeit: Destundierungsgefühl also.“
Dotan-Dreyfus, Tomer: Birobidschan, 2023, Voland & Quist Verlag, S.100.
In diesem Zitat ist die Stilistik des Buches ersichtlich. Dreyfus hat einen wunderbaren Umgang mit Sprache, immer wieder haben seine Sätze Einschübe, die beim Lesen den erzählenden Charakter des Textes betonen. Die Sprache des Romans feiert wilde Abzweigungen, zeigt auf, dass Dreyfus als Lyriker auch Gespür für das Lautmalerische hat. Mit den vielen Figuren bringt der Roman nicht nur Vielfalt hinein, es erfordert beim Lesen zugleich ein gewisses Maß an Konzentration, da auch zwischen Zeitebenen gewechselt wird. Trotz der Lage des Dorfes entsteht auf keinen Fall Eintönigkeit. Zu bunt ist die geschilderte Welt, in welcher Dreyfus auch bewusst mit Elementen des Magischen Realismus spielt. Mythen verschränken sich in den Lebenserfahrungen der Figuren und so sind es externe Einflüsse, welche das Dorfleben prägen. Zu nennen sei vor allem das Auftauchen eines Bärs. Grundsätzlich verweigert sich das Buch keinem stringenten Handlungsverlauf, sondern erzählt verschiedene Geschichten, deren Bindeglied im Handlungsort liegt. Überhaupt stellt sich der Roman dem Thema Identität mit Blick auf kulturelle und ortsgebundene Identität. Es geht jedoch ebenfalls um die Rolle von Kunst und Literatur, aber auch Einwanderung ins Dorf wird thematisiert. Dabei entpuppt sich Birobidschan mit seiner jüdischen und mit kommunistischen Ideen angereicherten Dorfkultur zugleich auch als ein Raum, der Sehnsüchte wecken kann.
„Der Mord an Boris veränderte die Zeit in Birobidschan, wie die Atombombe von Hiroschima die der ganzen Welt verändert hatte. Die Möglichkeit des Bösen war auf einmal da, und das war unumkehrbar. Anders war Birobidschan nicht mehr.“
Dotan-Dreyfus, Tomer: Birobidschan, 2023, Voland & Quist Verlag, S.179.
Die Dorfgemeinschaft wird dann durch den Mord an Boris durchgerüttelt. Dieses Ereignis stellt viele Elemente infrage, bedroht das Vertrauen der Gemeinschaft und macht zugleich deutlich, dass nicht alle Sehnsüchte durch Birobidschan erfüllt werden können. Dreyfus erzählt dies mit hohem Reflektionsgrad, phantastischen Elementen, einer von Metaphern und Ironie geprägten Sprache. Das Buch macht uns viele Deutungsangebote, wartet nicht mit einer zentralen Botschaft auf. Zugleich ist diese Vielseitigkeit eine Schwäche des Romans, denn nicht alle Geschichten packen einen als Lesenden gleichermaßen.
Fazit
Dieses Buch hat unterschiedliche Momente der Leseintensität bei mir geweckt, starke Momente mit humorvoller ästhetischer Sprache werden von Sprüngen in Zeiten- und Figurenperspektiven abgelöst. Letztere belasten den Lesefluss und nehmen dem Roman für mich einen gewissen Reiz. Mir gefällt wie Dreyfus seine Welt in Birobidschan erzählerisch gestaltet, zugleich auf beeindruckende Art und Weise verschiedenste Themen in einer Dorfgemeinschaft zu behandeln, die weit weg von meiner eigenen Lebensrealität zu sein scheinen. Trotzdem entrückt sich das Buch nicht, sondern schafft es mich zum Nachdenken anzuregen.
Werbung aus Liebe zum Buch
Wertung: 🐧🐧🐧
Tomer Dotan-Dreyfus: Birobidschan
ISBN: 978-3-630-87634-4