Ehrlich, Roman: Malé – Rezension

Das Leben in Gesellschaft, also eines, das ständig seine Richtung ändern muss, weil es sich tatsächlich stören lässt von den anderen, anstatt nur immer wieder über sie hinwegzugehen, das dauert ewig. Deshalb hält das ja auch niemand aus und zieht sich jeder irgendwann auf sein Eigenes zurück.

Ehrlich, Roman: Malé, S.51 S. Fischer Verlag 2020.

Roman Ehrlich stand mit Malé auf der Longlist des Deutschen Buchpreises im vergangenen Jahr und dies aus meiner Sicht vor allem wegen seiner sprachlichen Bildintensität. Erzählt wird von einer Aussteigergesellschaft auf den Malediven. Dabei wird ein dystopischer Bezug zum Klimawandel hergestellt, aber ungewohnt verarbeitet. Obwohl von den klimatischen Veränderung in der Existenz bedroht wird der Ort zur Scheinzukunft der dort lebenden Figuren. Anstatt Kima zum Thema zu machen verweigert sich der Roman einer kompakten Handlung. Stattdessen werden Sprache und Beobachtungen ausgestellt, die mich an einigen Stellen nachdenklich zurücklassen. Eine Lektüre für Sprachbegeisterte.

Um was geht es?

Die Malediven sind durch die klimatischen Veränderungen in ihrer Existenz bedroht und so nicht mehr der Sehnsuchtsort der Touristen. Stattdessen haben sich Aussiedler auf der Insel angesiedelt. Abenteurer, Künstler und auch Utopisten finden sich in einer Inselgesellschaft zusammen, die sowohl von Ausgrenzungen und dem Verschwinden von Menschen geprägt ist, als auch Räume für neue Verständnisse von Zusammenleben bietet.

Mein Eindruck vom Buch

Der Roman wurde im Zuge seiner Nominierung zum Deutschen Buchpreis vielfach besprochen und dies weckte meine Neugierde. Gereizt hat mich von Anfang an nicht der Aspekt des Klimawandels, sondern das dieses Buch ein buntes Figurenspektrum und intensive sprachliche Bilder liefert.

Wer die Welt so wahrnimmt – als einen Haufen guter Geschichten – dem sollte man eigentlich das Schreiben verbieten. Wenn es noch um irgendwas gehen kann beim Schreiben, dann doch um das, was man eben nicht sofort erkennen kann, das Nichtwissen, die Ratlosigkeit, die Schweigsamkeit der Dinge, die Geheimnisse hinter den Symbolen und die Angst, die von diesem Unwissen, von der Leere und der Sinnlosigkeit ausgeht!

Ehrlich, Roman: Malé, S.185 S. Fischer Verlag 2020.

Dieses Zitat ist mir beim Lesen vor allem deshalb aufgefallen, da es auf mich wie die Zusammenfassung der Textpraktik wirkt. Roman Ehrlich verweigert sich einer stringenten Handlung. Die Erzählweise ist distanziert. Die Figuren kommen direkt zu Wort kommen, aber die Erzählstimme ordnet die Aussagen nicht ein. Auf diese Weise liefert das Buch wunderbar zu lesende Passagen, Anspielungen und Situationsbeobachtungen. Die Figuren blenden die unabdingbaren Auswirkungen der Klimakrise aus, sie organisieren sich stattdessen in einem System weg von utopischen Sehnsüchten. Ein Professor spielt sich in diesem System zum Anführer auf, zudem werden Gruppen eingeteilt. Integrativ wirkt auf der Insel die Gaststätte des „Blauen Heinrichs“. Die Beschreibungen dieser Szenen sind wirklich richtig gut und erinnern an die Funktion von Kneipen in kleineren Dorfgesellschaften, um sogleich auch wieder aus dieser beengten Funktion wieder nach außen zu weisen. Zunächst scheinen die verschwundenen Künstlerfiguren Kern des Romans zu werden, doch auch dies wird durch die vielen Nebensequenzen als Strukturmerkmal wieder abgelehnt.

Das Buch ist aus meiner Sicht keine geeignete Lektüre für Leser*Innen die sich einen handlungsorientierten Roman wünschen und richtet sich mehr an Fans toller Sprachverarbeitung. Dies hat auch mich zum Weiterlesen animiert, denn die Sprachbilder sind intensiv und spielen mit Sehnsuchtsmotiven. Ehrlich führt jedoch keines dieser Bilder zu einem ausgearbeiteten Ende, sondern lässt mich mit diesen Anspielungen nachdenklich zurück. Folglich empfehle ich dieses Buch nur Jemandem, der sich gerne in sprachlichen Bildern verliert.

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Wertung: 🐧🐧🐧

Roman Ehrlich:

Malé

S. Fischer Verlag

ISBN: 978-3-10-397221-4

Preis: 22,00€

https://www.fischerverlage.de/buch/roman-ehrlich-male-9783103972214

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