Ein Herantasten an die eigene Mutter – Sylvie Schenk: Maman

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In dieser Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse und es steht damit auch die Vergabe des Deutschen Buchpreises an. Seit Jahren lese ich viele Bücher, welche für diesen Preis nominiert sind. Erstmals möchte ich in diesem Jahr alle 20 Titel der Longlist lesen und auf diesem Blog besprechen. Unabhängig davon, welcher Titel schlussendlich durch eine Jury zum besten Roman des Jahres erklärt wird, finden sich auf dieser Liste Bücher, denen ich Aufmerksamkeit schenken möchte.

Da es nun schon eine Shortlist gibt, möchte ich zunächst mit den Titeln dieser Liste beginnen. Eine der Nominierten ist Sylvie Schenk mit dem Roman „Maman“, erschienen im Hanser Verlag. Damit bespreche ich heute ein Buch, welches es höchstwahrscheinlich ohne die Shortlist nicht auf meinen Nachttisch geschafft hätte.

„Und es gibt Leute wie Maman, die eine Art schwebendes, undefiniertes Wesen haben. Wir sind alle vergänglich, sie aber war vergänglicher, fluider, ungreifbar.“

Schenk, Sylvie: Maman, 2023, Hanser Verlag, S.115.

Sylvie Schenk schreibt ihrer Mutter in diesem knappen Roman ein Erinnerungsporträt. Die Geschichte beginnt mit der Großmutter, die kurz nach der Geburt der Mutter zu Tode kommt. Die Mutter Renée muss deshalb in Pflegefamilien aufwachsen und erlebt eine Kindheit der Armut. Zudem ist ihr Leben von Beginn an davon belastet, dass die Großmutter Prostituierte war und Renée Ergebnis einer Nacht mit einem Freier ist. Somit durchzieht diese Lebensgeschichte ein Gefühl des Nicht-Gewollt-Seins und prägt das spätere Handeln und die Erwartungen an das eigene Umfeld. Sylvie Schenk schreibt bewusst aus der Ich-Perspektive und betont die Autofiktion. Sie versucht ihre Mutter zu ergründen, nähert sich deren Geschichte vorsichtig und versucht nachzuvollziehen, wieso in ihr so viel Kälte gegenüber den eigenen Kindern zu wohnen scheint. Wir erfahren somit nicht nur, wie die Mutter in Pflegefamilien aufwächst und wie sie ihren Mann kennenlernt. Die prägenden Lebenserfahrungen erinnern in der Grundkonstruktion an Édouard Louis oder Annie Erneaux, doch stilistisch grenzt sich Schenk davon ab. Ihr Roman weist der Mutter nicht nur erkennbare Härte zu, sondern es drückt sich deutlich eine innige Liebe aus. Es geht nicht darum, eine soziologische Analyse in einen Roman zu verpacken, sondern das Leben der Mutter und die Beziehung zur Tochter darzustellen. 

Zudem werden Frauenrollen sichtbar und wie schwer es auch ist, diesen zu entkommen oder Veränderungen herbeizuführen. 

„Mamans Leben und mein Leben sind miteinander verflochten wie zwei unterschiedlich gefärbte Wollfäden im schlecht gestrickten Pullover einer Penelope, die auf sich selbst wartet.“

Schenk, Sylvie: Maman, 2023, Hanser Verlag, S.44.

Sylvie Schenk wählt dafür, und dies ist ein besonderes Element dieses Romans, einen Ton, der seine Ernsthaftigkeit mit pointierten ironischen Einschüben verdeutlicht. Dadurch gelingt ein Porträt, welches keine durchgehende Anklage ist, sondern über die Stilistik auch den Versuch des Verstehens transportiert. Lange war der Tochter unbekannt, was die Mutter alles erlebt hat, und damit entzog sich diese auch einem innigen Verhältnis und Verständnis. Das erzählte Leben ist Ergebnis einer Recherche und zeigt auch auf, wie groß der Einfluss von Adoptiveltern ist. Die menschliche Beziehung, dies zeigt der Roman deutlich, steht über allem anderen. Ich finde, dies ist eine schöne Botschaft des Buches. Sylvie Schenk rechnet in diesem Buch nicht mit ihrer Mutter ab, betont aber kritisch das Erziehungsverhalten und dass diese Handlungen ohne die nun erfolgte Recherche eine Verständnislücke hinterlassen hätten.

„Ich stand ein Leben lang für meine Gefühle, nicht für meine Ideen. Später habe ich entdeckt, dass auch Ideen Töchter der Gefühle sind, sich aber rational verkleiden, das hat mich getröstet.“

Schenk, Sylvie: Maman, 2023, Hanser Verlag, S.92.

Fazit

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mir dieses Buch durchaus zu gefallen wusste, aber keinen Begeisterungssturm auslöste. Dies lag allerdings mehr an der inhaltlichen Thematik, die mich nicht packen konnte, und weniger an der guten poetischen Stilistik. Gerade in Anbetracht des Themas hebt diese das Werk von Sylvie Schenk gegenüber ähnlichen Romanen ab. Mir fehlt allerdings eine noch stärkere Einschätzung des Verhältnisses von Mutter und Tochter und inwieweit sich auch erlebte Traumata über Generationen hinweg ausdrücken.

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧1/2🐧

Sylvie Schenk: Maman

ISBN: 978-3-446-27623-9

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/maman/978-3-446-27623-9/

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