Ein Buch als Mythos – Mbougar Sarr, Mohamed: Die geheimste Erinnerung der Menschen

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An diesem Buch konnte man auf Buchblogs und im Feuilleton nicht vorbeikommen und die Zusammenfassung der Storyline hat es auch für mich interessant gemacht. Persönlich lese ich sowieso gerne französische Autor:Innen und beginne nun auch damit mich für afrikanische Literatur zunehmend zu interessieren. Diese bringt nochmals andere mythische und magische Elemente in ihre Texte hinein, als ich dies schon vom magischen Realismus kenne.

Vom tragischen Verschwinden eines Autors

T.C. Elimane veröffentlicht seinen ersten Roman und wird sogleich zu einem literarischen Superstar erklärt. Er wird in den Feuilletons zum „schwarzen Rimbaud“, der jedoch schon bald zu Fall gebracht wird. Plagiatsvorwürfe sorgen dafür, dass der hoch gefeierte Autor urplötzlich von der Bildfläche verschwindet. Viele Jahre später tritt das verschollen geglaubte Buch mit einem Exemplar in das Leben von Diegane. Dieser ist aus dem Senegal nach Paris gezogen, um selbst Schriftsteller zu werden und er verspürt beim Lesen die Sogkraft des Romans von Elimane. Er begibt sich auf die Suche nach weiteren Hintergründen des Lebens von Elimane und stößt auf eine mit Mythen aufgeladene Geschichte.

Der Roman umkreist diese Lebensgeschichte, in dem er verschiedene Personen über Elimane erzählen lässt. Dabei betont das Buch die Bedeutung des mündlichen Erzählens. Auf der Suche nach den Lebenshintergründen von Elimane reflektiert der Roman auch den Literaturbetrieb und seine Funktionsweisen. Es geht auch darum, inwieweit sich dieser Betrieb schon einer Zeit des Postkolonialismus zuordnen lässt. Mohamed Mbougar Sarr schildert dies alles in einer kraftvollen und poetischen Sprache, die zwischen afrikanischen mit Mythen aufgeladenen Erzählungen und den nüchternen Analysen des französischen Literaturbetriebes wechselt. Damit zeigt sich in dieser Geschichte die Kraft der Literatur und diese verbindet sich in diesem Fall mit einer erotischen Anziehungskraft, die gleichzeitig auch Antrieb für die Recherche ist.

Was also ist dieses Heimatland? Du kennst es: Es ist natürlich das Land der Bücher, die man gelesen und geliebt hat, die man gelesen und verabscheut hat, der Bücher, von denen man träumt, sie zu schreiben, der unbedeutenden Bücher, die man vergessen hat und von denen man nicht einmal mehr weiß, ob man sie je aufgeschlagen hat, der Bücher, von denen man behauptet, sie gelesen zu haben, der Bücher, die man niemals lesen wird, von denen man sich trotzdem um nichts in der Welt trennt, der Bücher, die geduldig warten, bis eines Nachts ihre Zeit gekommen ist und man sich festliest bis zum blendenden Sonnenaufgang des anbrechenden Tages.

Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen, 2022, Hanser Verlag, S.307.

In diesem Zitat zeigt sich vieles, was diesen Roman aus meiner Sicht so gelungen macht. Zum einen, wie viele Reflexionsschleifen das Buch in nur einem Gedanken mitnehmen kann, zum anderen, verknüpft es Literatur eng mit dem Begriff Heimat und zugleich geschieht dies alles in poetischen Sprachbildern. Man erhofft sich als Lesender immer wieder, dass die gedrehten Schleifen zu einem abschließenden Ergebnis führen werden und weiß zugleich, dass genau dies die Botschaft des Romans ist, die Literatur kennt keinen abgeschlossenen Pfad. Genau deshalb ist auch die Thematisierung der Plagiatsvorwürfe so grandios verarbeitet. Kulturelle Aneignung benennt der Roman nicht direkt als Aspekt und doch ist auch jenes Diskussionsthema direkt greifbar. Heimat entsteht und auch dies zeigt der Roman oftmals erst durch kulturelle Aufeinandertreffen und das Produktivmachen jener Momente. Zugleich ist der Roman eine Satire, legt die irrsinnigen Seiten des Literaturbetriebes offen und nimmt sich und sein Thema damit nicht durchgehend zu ernst. Dies lockert den Lesefluss, ohne die poetische Kraft des Buches zu beeinträchtigen. Das Buch legt offen, wie sehr sich der Literaturbetrieb immer mehr auf die Personen denn auf die literarischen Qualitäten von Texten konzentriert. Den Hang zu Autofiktion unterläuft Sarr mit seinem komplexen Handlungsnetz gekonnt und macht diese zugleich zum Romanthema.

Fazit

Dieser Roman erzeugt einen wunderbaren Lesefluss, feiert die Welt des Erzählens und verwebt gekonnt afrikanische Mythen mit einem konservativ anmutenden französischen Literaturbetrieb. Mohamed Mbouga Sarr punktet mit unzähligen Anspielungen, gibt seiner Leserschaft verschiedene Angebote zu Reflexionsschleifen. Der Roman selbst geht nicht alle diese Wege, mir als Lesendem ist es möglich, persönlich zu entscheiden, welche ich nehmen möchte. Mir hat das Buch richtig gut gefallen und ich kann es weiterempfehlen.

Werbung aus Liebe zum Buch

Wertung: 🐧🐧🐧🐧

Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen

ISBN: 978-3-4462-7411-2

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-geheimste-erinnerung-der-menschen/978-3-446-27411-2/

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