Frühwerk mit ersten Anzeichen
Als Karl May Fan möchte ich natürlich nicht nur die bekannten Werke des Maysters lesen, sondern setze mich auch mit Frühwerken auseinander. Eines dieser Werke ist der Band 71 aus den Gesammelten Werken mit dem Titel „Old Firehand„.
Die titelgebende Geschichte erschien erstmals 1875 und man erkennt schnell, dass wir es hier noch nicht mit den uns bekannten Helden zu tun haben, sondern der Autor bis zu seinen endgültigen Heldenfiguren noch einige Bearbeitungen vorgenommen hat.
Neben dieser Geschichte versammelt der Band noch 13 weitere Erzählungen, die uns auch in den arabischen Raum entführen. Man erkennt in vielen Erzählungen Grundmuster des gesamten Autorenwerkes.
Die Heldenfigur, aus der später Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi werden wird, überzeugt mit List, ist aber noch nicht gänzlich mit seiner Schlagkraft bekannt. In der ersten Erzählung lernen wir Inn-nu-woh, einen Sioux-Häuptling kennen, der uns durchaus an Winnetou erinnert, aber noch weit entfernt von der Zeichnung des edlen Apachen-Häuptling ist. Auch zwei Trapper aus der Erzählung „Both Shatters“, scheinen schon früh Anzeichen für spätere Figuren wie Hobble-Frank oder der Lange Davy zu sein. Auch der Begleiter in den arabischen Reiseerzählungen wird uns später als treuer Diener Hadschi Halef Omar in ähnlicher Form wieder begegnen.
Es ist eine Freude für einen Karl May Fan wie mich, sich mit diesen frühen Erzählungen auseinanderzusetzen. Mich begeistert, dass ich schnell erkennen welche Figuren sich später in anderer Form wiederfinden und wie May seine Figuren von den ersten Versuchen weiterentwickelt hat.
In der Rezension möchte ich mich nun aber auf die titelgebende Geschichte konzentrieren.
Um was geht es?
Ein namenloser Ich-Erzähler befindet sich auf der Suche nach der Siedlung New Venango, um dort seine Einkünfte zu erledigen. Dabei lernt er die junge Ellen kennen, die ihm erzählt, dass sie Tochter eines Weißen und einer Indianerin ist. Ihr Onkel ist Emery Forster, der Ölprinz der Stadt. Gemeinsam reiten sie in die Stadt, wo es zu einem Konflikt mit Forster kommt. Der Ich-Erzähler schwärmt für Ellen, die ihn jedoch für einen Feigling hält.
Dann kommt es in der Stadt zu einem Ölunfall, der für ein Flammenmeer sorgt, aus der er Ellen befreit. Doch auch diese Heldentat ändert ihre Meinung nicht. Auf seiner weiteren Reise trifft er mit Winnetou zusammen und kann einen Eisenbahnüberfall verhindern. Bei dieser Rettungsaktion treffen sie dann auf den berühmten Westmann Old Firehand, welcher sie mit in seinen „Biberbau“ nimmt. Allerdings ist die Gefahr nach dem vereitelten Überfall noch nicht gebannt. Denn Häuptling Parranoh verfolgt sie mit seinen Kriegen und schnell wird klar, dass es auch um Rachegelüste aus der Vergangenheit geht. Und dann taucht auch Ellen wieder auf …
Mein Eindruck vom Buch
Teile der Geschichte kennt man als May Fan natürlich aus „Winnetou II“ oder „Der Ölprinz“, schließlich ist dieses Frühwerk durchaus Vorlage gewesen. Als Kenner des Werkes von Karl May liegt aber darin auch ein großer Lesespaß, da man die weiteren Bearbeitungsschritte absehen kann. Denn in diesem Frühwerk ist der Ich-Erzähler noch nicht der berühmte Old Shatterhand, wenn auch ein kluger Westmann, der sich aber nicht in eine Anführerrolle drängt. Winnetou ist noch nicht der edle, nach hohen Moralwerten agierende Häuptling, sondern zeigt auch seine gewaltbereitere Seite. Es wird deutlich, dass May die christlichen Elemente, welche sich in den späteren Werken zeigen, nicht sofort in seine Abenteuererzählungen integriert hat.
Auftretende Gefährten wie das Kleeblatt sind jedoch schon nah an den späteren Helden aus Winnetou I gerade auch im Hinblick auf ihren Humor.
Die auftretenden Gefährten wie das Kleeblatt ähneln den späteren Versionen, vor allem bezüglich des Humors stark.
Was mir persönlich allerdings am besten gefällt ist die Tatsache, dass in der Handlung persönliche Motive angelegt sind. Unser Ich-Erzähler ist fasziniert von Ellen und zeigt im Umgang mit ihr Gefühle. Winnetou und Old Firehand verbindet eine gemeinsame Geschichte, in der Liebe und Rache eine große Bedeutung haben. Auf diese Art und Weise wird auch die Freundschaft der Beiden begründet und gibt dieser aus meiner Sicht eine angemessene Tiefe. Die Kürze der Erzählung sorgt zwar dafür, dass May weniger Landschaftsbeschreibungen einarbeitet, allerdings fokussiert man sich somit beim Lesen auch stärker auf das Handlungsgeschehen.
Die Geschichte ist spannend aufgebaut und die Handlungsstränge werden gut zusammengeführt. Die Figur des Old Firehand kann ich mir auch aufgrund der Dialogrhetorik der Figur gut vorstellen. May nimmt in dieser Figur die Trappertradition anderer Reiseerzählungen auf. Ihm gegenüber steht der Ich-Erzähler, welcher durchaus als Westmann zu taugen scheint, aber nicht über den gleichen Erfahrungsschatz verfügt.
Ellen ist eine Frauenfigur, die vor dem Hintergrund des Erscheinungsdatums äußerst handlungs- und willensstark geschildert wird. Ihre emotionale Art, die klare Handlungsziele zu erkennen gibt, wird vom Ich-Erzähler zwar befremdlich aufgenommen, gleichzeitig liegt darin für ihn aber auch ihr Reiz.
Schon an diesen Eindrücken wird bewusst, dass May auch in seinen Frühwerken schon über ein großes erzählerisches Talent verfügte. Nicht alle Erzählungen des Bandes können dieses Niveau halten, aber in jeder der im Band versammelten Texte erkennt man Leitmotive des Gesamtwerkes wieder. Die titelgebende Erzählung bietet gute Abenteuerunterhaltung, eignet sich aber aus meiner Sicht nicht für Anfänger des May’schen Werkes. Hier ist der Einstieg trotz der Länge auf jeden Fall mit „Der Schatz im Silbersee“ oder „Winnetou I“ zu empfehlen. Für May-Fans ist aber dieses Werk wirklich ein Muss und so bereue auch ich die erneute Lektüre nicht.
Wertung: 🐧🐧🐧
Werbung aus Liebe zum Buch
Karl May:
Old Firehand
Karl May Verlag
ISBN: 978-3-7802-0071-6
Preis: 24,00€