Frauenschicksale mit den Möglichkeiten der Literatur
Nicht nur Nam-Joo Cho wurde mir beim Hugendubel empfohlen, sondern auch Sharon Dodua Otoo schaffte es auch wegen meinen ehemaligen Kolleg*Innen in meinen Einkaufskorb. Die geborene Britin ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch politisch in verschiedenen Organisationen aktiv, die sich für Gleichberechtigung einsetzen. Natürlich war sie mir auch aufgrund ihres Sieges beim Bachmann-Preis schon ein Begriff. In ihrem ersten Roman schildert sie in Schleifen verschiedene Frauenschicksale, springt durch die Zeiten und verbindet die Schicksale gekonnt. Es zeigen sich die Barrieren für ein Leben als Frau, die Benachteiligung aufgrund von Hautfarbe und es durchziehen die Spuren des Kolonialismus den Roman. Diese Themenvielfalt wird mit den Möglichkeiten literarischen Erzählens abgebildet, der Roman zeigt Fabulierkunst und mit welchen Mitteln Literatur sprechen kann.
Mein Eindruck vom Buch:
Dieser Roman hat mich mit der Wucht seiner Darstellung erfasst. Die zeitlichen Sprünge und Perspektivwechsel sind nicht nur kunstvolles Beiwerk, sondern verbinden die geschilderten Themen gezielt mit der Darstellungsweise. Sharon Dodua Otoo hat sich für die Erzählperspektive eines auktorialen Erzählers in Form eines erzählerischen Geistes entschieden, der sich auf diesem Wege zum Beteiligten machen kann. So spricht dieser Geist unter anderem als Reisigbesen oder als Reisepass zu uns. Allein diese Darstellung sorgt dafür, dass man den Roman von vielen anderen Leseerlebnissen trennt. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so begeistert von einer Erzählweise war, weil sie mir nochmals vor Augen geführt hat, was Literatur und Imaginationskunst für eine Kraft entwickeln kann.
Wir erleben Ghana im Jahr 1459, blicken in ein Konzentrationslager, tauchen ein in das Leben von Ada Lovelace und begleiten eine junge Afroamerikanerin auf der Wohnungssuche in Berlin. Verbindendes Element ist der Name „Ada“ und ein schmuckvolles Armband, welches einem Staffelholz gleich, Verbindungen herstellt. Die Schicksale stellen aus, welchen Problemen Frauen begegnen über die Jahrhunderte hinweg, aber auch wie sie mit Gewalt konfrontiert werden.
Und driftete wieder weg.
Otoo, Sharon Dodua: Adas Raum, S.317 S. Fischer Verlag 1. Auflage 2021.
Durch seinen Aufbau driftet der Roman durch die verschiedenen Zeitebenen. Die Dichte des Textes ist beeindruckend, die sprachliche Qualität hat bei mir Lesegenuss hervorgerufen. Natürlich erfordert der Aufbau ein konzentriertes Lesen, aber es entstehen bei meinem Lesen keine Barrieren, welche mir die Lust am Text nehmen. Die im heutigen Ghana lebende Ada ist eine Sklavin und mit ihrem Auftreten betritt auch das Armband die Bühne. Diese Ada wird verprügelt, verliert schon ihr zweites Kind und sofort den Blick frei auf vergangene Schmerzen, zugefügt durch den Kolonialismus. Als Spur des Kolonialismus taucht das Armband dann zum Schluss in einem Berliner Ausstellungskatalog auf und schon sind wir auch in der aktuellen Debatte um Restitution.
Ada Lovelace wird auch als Liebende gezeigt, die versucht ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Die Mathematikerin gilt vielen als erste Programmiererin. Hier ist die Erzählstimme ein Türknauf und damit immer up to date, wenn es darum geht zu erzählen, wer die Räumlichkeiten betritt.
Auseinandersetzung mit Herkunft und Machtstrukturen
Äußerst beklemmend ist die Situation der dritten Ada, die sich als Zwangsprostituierte in einem Konzentrationslager verdingt. Deutlich werden die Machtstrukturen und auch die Frauenrollenbilder, die transportiert werden. Die Erzählstimme ist hier der Raum, der einer Gefängniszelle gleich, auch räumlich die Grenzen dieses Frauenlebens aufzeigt.
Die letzte Ada ist in der Gegenwart angekommen, kämpft aber ebenfalls um ihren Platz und gegen Gefühle der Unfreiheit. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft ist noch nicht abgeschlossen und doch wartet auch ein Kind in ihrem Bauch, auf einen Platz im Leben. Diese Handlungsebene erhält Tiefe durch die Schwester als weitere Protagonistin. Hierdurch wird nicht nur Alltagsrassismus als Barriere deutlich, sondern es werden auch die Herausforderungen der Mutterschaft thematisiert.
In meinem Fazit stelle ich fest, dass trotz dieser Themendichte, keine Überfrachtung besteht. Das einende Element ist die Perspektive der Frauen und die Dokumentation, dass die Machtebenen männlich dominiert sind. Natürlich muss der Roman mit Auslassungen arbeiten, nicht jeder thematische Aspekt wird bis zum Ende beleuchtet. Doch man muss sich auf dieses komplexe literarische Spiel einlassen und wird Lesefreude entwickeln. Mir persönlich gefällt dieser Roman nicht wegen seiner thematischen Struktur, sondern wegen der literarischen Kraft, die er durch seine Ästhetik und seine Kombinationsfreude ausdrückt. Eine klare Leseempfehlung und für mich ein Kandidat für den Deutschen Buchpreis.
Wertung: 🐧🐧🐧🐧🐧
Unbezahlte Werbung aus Liebe zum Buch
Sharon Dodua Otoo:
Adas Raum
S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3-10-397315-0
Preis: 22,00€