Wir müssen obenrum frei werden
„Du verstehst also was wir meinen, ey Sascha sei mir nicht böse, aber ich glaube nicht, oder hast Du Dich wirklich mal ernsthaft mit Gleichberechtigung auseinandergesetzt“?
Eine klare Ansage einer Freundin, die dann natürlich auch noch deutlich machte, wie wenig ich in meinem Sprachgebrauch auf Denkmuster verzichte oder wie lange ich kaum Autorinnen gelesen habe, hat mir verdeutlicht, bei diesem Thema mache ich vor allem eines: Beiläufig mitreden.
Ok, also wenn ich mich gesellschaftlich für mehr Respekt einsetze, dann sollte ich mich wohl auch mit dem Thema Gleichberechtigung ernsthaft beschäftigen. Und so sitze ich nun zu Hause und lese fleißig. Ich kann es schon vorwegnehmen, vieles habe ich wohl vorher nicht so ganz auf dem Schirm gehabt. Also dann starten wir mal mit meinen neuen Thementagen „#Frauenpower“.
Die Unsicherheit, ob ich als Mann mich überhaupt mit dem Feminismus beschäftigen darf, ohne der Leidende unter mangelnder Gleichberechtigung zu sein, diese Unsicherheit hat mir Margarete Stokowski in ihrer Spiegel-Kolumne genommen.
Stokowski hat in ihrer Spiegel-Kolumne die Frage beantwortet „Wie kann ich als Mann Feminist sein?“ Wie können Männer Feministen sein? – Kolumne – DER SPIEGEL. Ich mag ihre Kolumnen und so war mir klar, wenn ich mich wirklich mit dem Thema beschäftigen möchte, dann sollte ich mit einem Essayband von ihr anfangen.
Es geht auch um die kleinen Dinge
Margarete Stokowski ist Kolumnistin und Autorin. In ihrem Essayband „Untenrum frei“ hält sie der Gesellschaft in sieben Kapiteln den sprichwörtlichen Spiegel vor. Ausgehend von persönlichen Erlebnissen führt sie uns durch herrschende Denkmuster. Von der Kindheit bis in die Erwachsenenwelt wird auf diesem Wege deutlich, wie weit wir doch von Gleichberechtigung entfernt sind. Dabei ist ihre Botschaft deutlich: „Wir können untenrum erst frei sein, wenn wir es auch obenrum sind“.
Mein Eindruck vom Buch:
„Feminismus“ ein Begriff, dem immer wieder auch mit negativer Rhetorik begegnet wird. Zuschreibungen wie „Das ist aber mal anders als bei Alice Schwarzer“ sollten nach der Lektüre von Stokowskis Buch der Vergangenheit angehören, denn darum darf es gar nicht gehen. Es gibt nicht den EINEN Feminismus, sondern es geht allen, die sich darunter sammeln vor allem darum Respekt einzufordern. Es ist auch nicht förderlich, wenn man versucht sich diesem Begriff zu entziehen, wenn man für die Rechte von Frauen eintritt, auch dies macht Stokowski deutlich. Mich nimmt das Buch relativ schnell in Beschlag. Sachlich aber trotzdem knallhart zeigen mir die Texte auch schnell auf, wo ich mich an der ein oder anderen Stelle einzureihen habe und der Kritik nicht entgehen kann. Dabei ist der Stil so, dass ich mir die Autorin bei einem geselligen Abend mit gesellschaftlichen Themen bestens vorstellen kann. Kein Dozieren, sondern einfach Erläuterungen mitten aus dem Leben. Wer diese Beschreibungen als nicht zutreffend einordnet, der reflektiert nicht.
Ich habe ans Aufstehen und ans Liegenbleiben geglaubt, an die Ruhe und den Sturm, und ich weiß nicht, was noch kommt und woran ich in meinem Leben noch glauben werde, aber sicher niemals ans Schweigen.
Stokowski, Margarete: Untenrum frei, S.230 Rowohlt 17. Auflage 2021.
Mit diesen Worten schließt Stokowski ihr Buch und treffender kann man eine Haltung nicht ausdrücken. Ich finde es toll, wie sie erklärt, dass man das Wort „eigentlich“ in manchen Gesprächen einfach durch „wirklich“ ersetzen sollte, einfach um nicht jede Äußerung weiterhin beiläufig zu akzeptieren und deutlicher entgegenzutreten. Feminismus dies macht schon das Vorwort deutlich, sind keine hysterischen Frauen, Feminismus bedeutet in erster Linie, dass alle Menschen die gleichen Freiheiten und Rechte genießen sollten. Schon in der Kindheit werden bestimmte Rollenmuster verfestigt und dies ohne Not. Als Leser*In werde ich dafür nicht angeklagt, sondern werde gebeten einfach mal darüber nachzudenken, warum wir Kinder bestimmten Farben und bestimmter Kleidung zuordnen. Beim letzten Möbelkauf erinnerte mich die Verkäuferin an diese Rollenklischees, als sie mir „männliche Farben“ empfiehlt.
Tipps aus Frauen- und Männermagazinen sind für mich als Nicht-Leser fast nicht als ernsthaft einzustufen, aber sie sind nun mal so gemeint. Dabei werde ich als Mann nicht zum Schuldigen erklärt, sondern nur aufgefordert Verhaltensmuster zu hinterfragen. Ebenso gilt dies natürlich auch für Frauen, die eben auch ohne Nachdenken solchen Tipps folgen möchten. All unsere Lebensbereiche sind Themen der Essays, natürlich auch Beziehungen, Flirten und Sex. Gerade in diesen Bereichen zeigt sich doch an vielen Stellen immer noch, wie Frauen auch zu Objekten degradiert werden und dies tatsächlich häufiger als Männer. Es ist unglaublich erfrischend, dass die Autorin auch dafür plädiert darüber offener zu sprechen, ohne jegliches Schamgefühl verlieren zu müssen. Auch diesem Thema schadet Sachlichkeit nicht.
Das Buch zeigt warum sich bestimmte Rollen auch schwer lösen lassen, dass die Mutterschaft eine Rolle bei der Benachteiligung spielt, dass es durchaus eine Rolle spielt, wer in den Medien die Chefposition inne hat und noch viel mehr. Sie will nicht mit wissenschaftlichen Aspekten punkten. Sie geht von den kleinen Dingen des Alltags aus und weist in diesen auf vorhandene, teil starre Rollenbinder hin. Mit dem Wissen darüber, könnte man sicherlich einiges bewegen, aber dies erfordert die Bereitschaft des gegenseitigen Respekts. Dabei spielt auch Sprache eine Rolle – es geht nicht darum „Sprachpolizei“ zu spielen, aber warum sagen wir „Karrierefrau“ und nicht „Karrieremann“. Mit solchen Beispielen ist das Buch gespickt und deshalb trotz des ernsten Themas nachvollziehbar, direkt und unterhaltsam zugleich.
Wirklich lesen und nicht nur eigentlich
Mein Fazit nach dieser Lektüre ist auf jeden Fall, dass ich einige Punkte noch nie bedacht habe und nach diesen Essays WIRKLICH an mir arbeiten muss. Nie wird man mich deshalb als Feminist bezeichnen können, aber darum geht es nicht. Es geht genau um das, was Stokowski im eingangs erwähnten Essay festhält. Wir sollten uns alle für körperliche Selbstbestimmung einsetzen und nicht darauf verlassen, dass uns irgendjemand Nachhilfeunterricht gibt. Etwas mehr nachgedacht über das eigene Verhalten und sich auch mal auf neue Betrachtungsweisen einlassen und schon wird der Respekt zunehmen. Ob daraus dann auch wirkliche Gleichberechtigung folgt, das haben allein wir als Gesellschaft in den Händen. Die Lektüre ist auf jeden Fall für jeden äußerst zu empfehlen, selten habe ich so einen Lesegenuss bei einem Thema empfunden, dass ich meist in den Seminarräumen der Universität verortet habe.
Wertung: 🐧🐧🐧🐧🐧
Unbezahlte Werbung aus Liebe zum Buch
Margarete Stokowski:
Untenrum frei
Rowohlt
ISBN: 978-3-499-63186-3
Preis: 12,00€